Die entscheidende Geschwindigkeit der Zentrifuge innerhalb einer demokratischen Gesellschaft/ Die Suche nach Verständnis für Frieden, wie für Hass
Vor ein paar Tagen, ich ging gerade zum Hofgarten, ein bisschen Sonne genießen, sprach mich eine ältere Dame an, ob ich ihre Einkaufstasche ein Stück für sie tragen könnte. Sie bot mir dafür einen Euro an. Ich verneinte natürlich. Sie haben so ein waches Gesicht, sagte sie zu mir. Sie wäre ja früher einmal Psychoanalytikerin gewesen. Das sei lange her. Jetzt sei sie bereits 86 Jahre. Es blieb nicht dabei nur ihre Tasche zu tragen, denn wir kamen ins Gespräch. Ich brachte die Suche nach Verstehen ein, dieses in jedem Menschen vorhanden sei. Sie stimmt mir zu. Jeder Mensch möchte gern verstanden werden. Sie thematisierte zu diesem Punkt eine Partnerschaft. Da sei Verstehen mit das Wichtigste überhaupt. Ich stimmt zu, brachte aber auch den negativen Aspekt zur Suche nach Verstehen und Verständnis ein, nämlich, dass dieses auch kippen kann. Als Beispiel nannte ich die besorgniserregende Gegenwart. Wenn Menschen in ihrem Hass auf Verständnis hoffen oder sie suchen. Oh ja, sagte sie und nickte. Da gebe ich Ihnen recht, merkte sie an.
Noch Stunden hätte ich mit ihr reden und ihr zuhören können. Sie schrieb früher auch, aber eher Wissenschaftliches. Wir mussten uns einfach begegnen, sagte sie zu mir. Das sehe ich auch so, gab ich zurück.
Im Hass verstanden werden wollen und die Dynamik dahinter ist möglichst passende Argumente dafür dem anderen zu präsentieren. Ins eigene Bild Unpassendes zu relativieren, wie zum Beispiel die Verbrechen der Hamas. Andere benennen einen kompletten Staat und deren Bewohner als Untermenschen. Das muss man sich einmal auf den Hirnfalten zergehen lassen! Wieder andere versuchen gegen Arme Hass zu schüren. Der Tisch, wogegen gehetzt werden kann, ist reichlicher denn je gedeckt. Heutzutage im Internetzeitalter kein Problem Hass in die Welt zu transferieren. Eine Leichtigkeit Gewalt und Kriege zu glorifizieren. Ebenso kein Problem die Fakten/Bilder/Videos zu manipulieren. Im Übrigen freue ich mich, dass es erste Medien gibt, die den Rückwärtsgang schalten und sich - ganz Oldie - wieder der Druckerschwärze widmen. Auch las ich von Handynutzern, die sich sogenannten „dumme Handys" kaufen und sich wieder damit zufrieden geben zu telefonieren. Ganz ohne Google und CO.
Auf der Bühne der Welt sehen wir immer nur, was vor dem Vorhang geschieht, niemals das Treiben dahinter. Hintergründe, Zusammenhänge, die oftmals fehlen.Transparenz, die fehlt. Oftmals ist es auch schwierig Zusammenhänge zu finden, denn es ist wie mit der dynamischen Demokratie, wie ich ein optimales Verhältnis zwischen Bürger, Medien, Politik,Wirtschaft und Rechtssystem gern sehe. Wenn eine gesunde Dynamik wiederum zu schnell wird, wenn sie erstarkt also, dann ist es genauso verheerend, als wenn sie Stillstand erführe. Stellen Sie sich eine Zentrifuge vor, die sich im Normalfall optimal dreht. Sie können sich festhalten, oder freihändig darauf mitdrehen, sie können sich auf geringe Abweichungen einstellen und sich anpassen, die sehen die Umgebung noch und fühlen sich von innen heraus wohl, denn die Situation ist gut einzuschätzen. Weil es Ihnen zu langweilig wird, nehmen Sie Kontakt zu anderen Menschen auf und knüpfen Verbindungen. Ob nun langfristig oder kurzfristig sei zunächst egal.
Dann jedoch wird die Zentrifuge schnell und schneller. Der Mensch neben Ihnen verliert seinen Halt, sein Geist kommt ebenso wenig hinterher, wie sein Gefühl, dass er Kontakt zu den Geschehnissen auf allen relevanten Ebenen eines Gesellschaftsgefüges hat. Ihnen geht es ebenso, wie dem Nachbar. Auf das Größere bezogen: Durch die immer höher werdende Geschwindigkeit zerstreut sich die Demokratie, demokratische Prozesse, in viele kleine Positionen, bzw. es bilden sich immer mehr Gruppen, die oft gegeneinander agieren. Die richtige Geschwindigkeit innerhalb eine Gesellschaftsordnung ist also unumgänglich, damit eine demokratische Entwicklung beständig bleibt. Auch, wenn gerade diese Beständigkeit eine Dynamik bedeutet. Das mag nun seltsam anmuten, aber so kann ich es vielleicht am Besten beschreiben. Ebenso ist die Häufigkeit von Veränderungen entscheidend. Zu viele auf einmal oder in sehr kurzfristigen Zeitabständen überfordern oft die Gesellschaft und es kommt ebenfalls zu Unmut, auch darum wiederum oft, da der Mensch Zeit benötigt, um zu verstehen. Nötige Erklärungen, Stellungsnahmen und Weitergaben von Informationen sind dafür entscheidend. Verstehen bedeutet längst keine Zustimmung. Auch da ist zu differenzieren. Verstehen bedeutet sich in Prozesse hineinzuversetzen und Zusammenhänge miteinander zu koppeln und mündet in einem Verständnis, einer Ablehnung oder im neutralen Verharren. Ich verstehe, doch stimme ich nicht zu. Ich verstehe, dass dieser Weg gegangen wurde, doch ich würde ihn niemals gehen und so weiter oder auch: Ich verstehe und hätte auch so gehandelt. Viele Zwischennuancen sind dabei zu bedenken. Manche Menschen handeln sehr schnell, andere brauchen dafür mehr Zeit. Manchmal ist das jeweils gut, manchmal eher nicht.
Dreht sich das Zahnrad der Dynamik zu langsam, so kann das ebenso verheerende Folgen haben. Heute merkt man das schneller werdende Tempo sehr. Heute, da alles immer schneller die Menschen überfordert, sie immer unzufriedener werden, immer mehr gegeneinander agieren, sich zersplittern, der intransparenten Politik nicht mehr folgen können und im Hass Verständnis suchen, ja beinah einfordern. Gleichzeitig wird zum Zusammenhalt aufgerufen, gar zum Patriotismus. Das wird nicht funktionieren und leider wird es m.E. eher weiter in eine fatale Richtung gehen. Vieles an Veränderungen wird nicht gut vermittelt, stattdessen wird von oben herab auf die Menschen eingeredet. Dabei spreche ich nicht von Hass-Meinungen und nicht nachvollziehbaren relativierenden Ansichten, nicht von Vergabe von Schuld an Unschuldige. Das eben sind derlei Entwicklungen, die durch obengenannte Problematik geschürt wurden und werden.
Stellen Sie sich eine langjährige Beziehung oder Ehe vor, in der die Partner, die sich anfangs zueinander hinbewegten sich nun immer weiter geistig entfernen. Sie halten aber dennoch die Substanz der Beziehung zusammen, was mit der Zeit immer mehr Anstrengung kostet. Das Geistige und Gemeinsame ist beinah im Stillstand, während sich eine gefühlsmäßige Dynamik voneinander entwickelt hat. Die wird immer schneller. In Folge dessen werden beide Partner immer unzufriedener. Nach Außen hin wird oft die Partnerschaft als völlig intakt beschrieben und gezeigt. Während gerade das Außen oftmals den wahren Zustand erkennen kann. Nun, es gibt viele Nuancen auszuharren und viele Gründe ebenso. Es geht aber um einen inneren Zustand der Zufriedenheit und einen äußeren, der dies ermöglicht. Zurück zum eigentlichen Thema: Um eine passende Dynamik, die weder zu schnell, noch zu langsam sein darf, um eine demokratische Gesellschaftsordnung aufrecht zu erhalten.
In Heribert Prantls neuem Buch: Den Frieden gewinnen/ Die Gewalt verlernen - geht es um derartige Aspekte. Ich stimme nicht allen Ansichten darin zu und dennoch ist es ein längst überfälliges Buch! Ich kann es nur jedem ans Herz legen es zu lesen und die vielen Gedankenanstöße darin wahrzunehmen und mit ihnen auch in sich zu arbeiten. Frieden fängt in jedem selbst an, das stimmt, und doch ist es nicht ganz korrekt, denn wenn der eine keinen Frieden will, kann der andere sich noch so sehr darum bemühen. Dann muss in Verhandlungen gegangen werden und wenn es nur einen einzigen Menschen dadurch rettet! Dabei ist auch zu beachten, dass kein Konflikt, kein Krieg, wie der andere ist. Und ein Vergleich die Ursachen und Probleme verdrängt. Russland und Ukraine haben zum Beispiel andere vorausgegangene Probleme, als das,was in Israel geschah und noch immer Geiseln unter den Verursachern festgehalten werden! Oft lassen sich dennoch Muster der Eskalationsstufen erkennen, altbekannte Muster. Oftmals natürlich auch provoziert! Siehe Nato – Osterweiterung. Mittlerweile kann doch nachgewiesen werden, dass es einst ein Versprechen gegenüber Russland gab. Die Existenz des Papiers kann ganz offiziell z. B. bei verschiedenen Medien, wie den SPIEGEL oder der WELT abgerufen werden. Ebenso helfen keinerlei hohlen Schlagworte den Hass und das Kriegsgeschehen zu mildern oder gar zu beenden, ganz im Gegenteil.
Ein Zitat aus dem Buch von Prantl: „Der Pazifismus ist daher der große und wichtige Widerspruch, er ist die radikale Anklage gegen den lateinischen Spruch: Si vis pacem, para bellum. Nein, wer Frieden will, soll nicht zum Krieg rüsten. Wer Frieden will, soll den Frieden suchen, er soll ihn vorbereiten, er soll ihn pflegen – nicht erst im Krieg, sondern lange vorher, bevor es zu köcheln und zu kochen beginnt. Das ist Pazifismus.“
Das ist stimmig für mich und doch geht Pazifismus auch darüber hinaus, als stetiger Begleiter zum Besseren, zum Frieden, zur Menschlichkeit, zum Aufruf zum Ungehorsam, zur Verteidigung des Selbst und der eigenen Prinzipien sich selbst treu zu bleiben und unter allen Umständen immer den Frieden anzustreben. Auch, wenn bereits ein Krieg wütet.
Nein, es gibt weder eine inszenierte und erfundene „Zeitenwende“, noch ist es unter dem Grundgesetz erlaubt von Kriegstüchtigkeit (zumal auf deutschem Boden) zu sprechen. Überhaupt das Wort Krieg positiv zu verschleiern zu suchen. Verteidigung ist zudem etwas anderes, als Waffen auf ein anderes Land zu richten oder richten zu lassen. Oder sie gar abzufeuern. Es ist auch etwas anderes, als in Wiesbaden ( also deutschen Boden) Waffenlieferungen für das Ausland zu koordinieren. Was für ein schmalziges Wort: koordinieren. Gar spricht man von einer Schlüsselrolle für Deutschland. Ist es eigentlich bewusst, was das für Deutschland zukünftig an Konsequenzen bedeuten könnte?
Kürzlich las ich von Rhesusaffen, welche zu den aggressivsten Arten zählen. Seitdem über die karibische Insel Cayo Santiago ein Wirbelsturm zog, geschah etwas Bemerkenswertes. Die Äffchen änderten ihr Verhalten und statt zu streiten, lernten sie sich zu unterstützen und Schattenplätze zu teilen, statt sie aggressiv zu verteidigen. Der Sturm hatte viele Bäume vernichtet, die lebensnotwendigen Schattenplätze wurden nur noch wenige. Durch den Zusammenhalt und das Teilen, durch den Frieden untereinander und die Toleranz, sank ihre Sterberate.
Suchen wir doch in Friedensgedanken Verständnis.
Lernen wir von den Tieren! Ach...das ist Ihnen zu primitiv? Nun ja, dann gehen Sie gedanklich einmal die Entwicklungsgeschichte der Menschheit durch. Suchen Sie nach den wenigen Jahren, in denen Frieden war. Beinah hätte ich geschrieben: herrschte, doch Frieden herrscht nicht, er begleitet und leitet, wie man ein Kind zum Erwachsenen begleitet und leitet. Es ist nur die Frage, ob der Frieden jemals das Erwachsenenalter erreichen kann und damit eine Reife, die zum Erhalt beiträgt, denn leider bestätigt uns die Gegenwart das Gegenteil und gerade sitzen zu viele wieder selbstsüchtig unter ihrem Schatten und verteidigen ihn.
Lotta Blau/06/2024
Bilder: Der Zerfall der Architektur/ (Metapher), Acryl auf Leinwand und have a dream/ Mischtechnik