Zur 100...Marcel Reich Ranicki
"Ich nehme diesen Preis nicht an!" (Siehe Link!) Ach, wie habe ich ihn damals dafür geliebt...und dazu Elke Heidenreich, die ihn verteidigte. Recht hat er, dachte ich und seine Argumente schienen mir plausibel. Die Heidenreich warf man beim Sender raus, was allein schon zeigte, dass Ranicki richtig lag. Finde heraus, wen du nicht kritisieren darfst und werde daraus schlau...
Seine Bücher liebe ich, sein Buch : Mein Leben - habe ich in einer Nacht verschlungen. Schreiben konnte er wahrlich und wettern auch. Aber jeder Verriss eine Goldgrube für den Absatz...So war es und so ist es. Zudem...welcher selbst denkende Leser ließ sich schon vorschreiben, was gut oder schlecht sei? Also kaufte man dann gerade jene Bücher, die er in die Schmäecke stellte. Aber er lobte auch und man täte Unrecht, wenn man dies nicht erwähnen würde.
Manche Künstler sind (begründet) Eigen-eitel. Es ist eine gewisse Form an "Schmeichelei" die sie brauchen, um schreiben oder malen zu können. Es spornt sie an, gleichwohl sie ganz genau wissen, eben...das es Schmeicheleien sind. Aber manchmal spornen gerade auch schlechte – oftmals - unbedarfte Kritiken zur Kreativität an. Gerade so, als müsste nun eine Abwehr dagegen geschaffen werden. Als müsste man beweisen...Denk-Mal - Grass. Zutiefst getroffen und verletzt. Dagegen lobend Anna Seghers. Ihren Roman: Das siebte Kreuz er immer wieder gerne erwähnte.
Die wenigsten Kritiker haben Freunde unter denen, die sie kritisieren. Das ist eine beinah unmögliche Konstellation.
Er "entzauberte" Brecht und zerstritt sich mit Sigrid Löffler. Er verteidigte die Erotik in der Literatur, sie brüskierte sich über pornografische Darstellungen darin.
Literatur war sein Zuhause, war sein Halt, war sein Trost in den schlimmsten Zeiten des Nationalsozialismus und reihte sich damit zu anderen, wie Nelly Sachs. Niemanden muss es verwundern, wenn gerade Schriftsteller nach diesem Trauma dem Alkohol oder der Depression verfielen. Jemand, wie Kästner begann zu trinken oder Künstler, wie Oskar Werner, der neben seiner schwierigen Kindheit auch noch traumatische Erlebnisse, wie in einem Bunker samt Frau und Baby verschüttet zu sein, zur Flasche griff. Oder Ingeborg Bachmann, die auf eine bessere Welt hoffte, gleichwohl sie wusste, sie würde wahrscheinlich nie kommen. Diese Ambivalenz war nach all dem nur normal. Paul Celan wurde damit ebenso wenig "fertig", wie andere, die gar ihre jüdische Wurzeln im Anschluss verleugneten.
Im Grunde gab er ihnen allen ein literarisches Gesicht. Streitbar frönte er der Streit- und Widerspruchskultur. Etwas, was heute immer mehr dem Untergang geweiht ist, weil Zensur verübt wird. Gar in manchen Ländern, wie Ungarn, Literaturnobelpreisträger aus den Schulen verbannt wurden. Wie weit ist es noch zu den geistigen Scheiterhaufen oder den real brennenden? Wie weit noch auch hierzulande, bis die Sprachkultur nicht mehr aus den wörtlichen Kellern finden wird?
Solche Streiter und Mahner, wie Ranicki...die fehlen heute. Solche, die sich hinstellen und sagen: Warum stehe ich hier und werde ausgezeichnet? Oder sinngemäß: Wenn ich doch über üble Politik und Verbrechen schreibe?, wie Lukas Bärfuss. Solche gibt es zum Glück auch noch.
"Es ist zwischen uns"
Ja, die wörtlichen Gruben, Mauern, Grenzen, die Geschichte ist zwischen uns... sie sind zwischen uns und an und in ihnen wird weiter gezündelt.
Und gespalten gezüngelt...
Mir sagte einmal mein damaliger Verleger: Die Lyriker hätten nichts mehr zu sagen, würden nur noch Bauchnabelschau in ihren Texten betreiben. So ganz Unrecht hatte er ja nicht. Aber diese ganze Literaturbetrieb, in dem heute ein Autor, eher wie eine Aktie hinter den Vorhängen gehandelt wird, der bringt zwar immer noch gute Literatur zu den Massen, aber die Masse verliert sich heute eher in andere Sparten des Lesens, als in wichtige und gute Bücher. Zu meinem Bedauern ist auch der Rowohlt-Verlag in diesen Abgrund gerutscht. Freilich...vielen Verlagen, besonders eher kleinen, geht es schlecht bis bescheiden. Das man sich dann an eher Unbedeutendes hält muss man auch verstehen. Dennoch, wenn man bedenkt, wo einst der Rowohlt stand, in welchem Glanz er mal zum Literaturhimmel schien, dann ist es tragisch.
Ob sich jemals mal was Gutes für die schreibende Zunft, was Margen usw. betrifft, ergeben wird? Ich denke kaum. Aber ein Grundeinkommen wird heute gefordert. Recht so! Nicht umsonst gab es ja schon mehrmals Revolten gegen gierige Verlage und zum Teil unmögliche Lektoren, die sich wie der Allmächtige selbst aufführten.
Bleiben wir streitbar! Die Literatur hat es verdient und die Autoren samt mit ihr. Rückgrat kann man nicht kaufen, aber man kann es dennoch erwerben!
Lotta Bla, 2020