Art und Geschreibsel

von Lotta Blau & Freunden



Arthur Rimbaud, existierend in Hass-Liebe



Arthur Rimbaud, geboren in Charleville am 20.10.1854, dessen Mutter sich in seiner Kindheit vom seinem Vater trennte, erlebte bald, was es heisst, Kind einer herrischen, harten und neurotischen Mutter zu sein. Aus ihrem Schriftwechsel geht hervor, dass sie sogar in den Tod und die Vernichtung verliebt war. Selbst mit ihrem Leben unzufrieden und unglücklich übertrug sie diesen Zustand auf ihre Kinder, von denen sich keines traute aufzubegehren. Erst als Rimbaud älter wurde, begann er zu rebellieren. Seiner Mutter gefiel das nicht. Sie versuchte mit allen Mitteln Arthur an sich zu binden, seinen Freiheitsdrang zu ersticken, ihn weiterhin in einer Abhängigkeit zu besitzen. Sie duldete keine Machtabgabe.

Rimbaud, ohne Liebe aufwachsend, verfiel in Hass-Liebe zu seiner Mutter. Aus ihrem Verhalten ihm gegenüber muss Arthur geschlossen haben, dass er es nicht wert sei und daraus entstanden in ihm Schuldgefühle.
Er nannte sie „Schattenmund.“ Dieser Ausdruck lässt vermuten, wie er seine Mutter sah. Vieles definiert sich durch Sprache, durch Worte. Schatten sind dunkel, unheimlich oft und nebulös.Diese Schatten sind für Rimbaud bös.



Früh musste er erwachsen werden. Eine unbeschwerte Kindheit war unter diesen Umständen nicht möglich. Arthur, gefangen zwischen der Übernahme von Verantwortung seiner Mutter, als auch seinen Geschwistern gegenüber, und dem Kindseinwollen, die Leichtigkeit und Naivität suchend, löste sich zunehmend nach aussen, blieb aber innerlich gefangen in diesen ganzen Zuständen. Seine Psyche hatte stark gelitten und drohte zu zerbrechen. Kindsein, das bedeutet auch zu träumen, bedeutet zeitlos zu sein, staunend die Welt zu entdecken und keinen Kummer haben zu müssen. Geborgenheit, Vertrauen und Liebe sind Grundpfeiler einer glücklichen Kindheit. Ohne Liebe kann sich kein Vertrauen aufbauen und ohne Vertrauen auch keine Liebe. Nach Liebe und geliebt werden suchte er sein ganzes Leben. „ Ja, lieben, die Gefahr oder die Kraft der Psyche!“

Doch ,wenn es Ansätze, wenn es Hoffnung und vielleicht kurzfristig eine Erfüllung gab, musste Rimbaud feststellen, dass er die Liebe von sich zu lösen versuchte. Er konnte mit Liebe nicht umgehen, hatte nie gelernt, sie zuzulassen, hatte immer seine Gefühle verstecken müssen; musste sich unter den Schlägen seiner Mutter und dem Liebesentzug eine eiserne Schutzrüstung um sein Herz legen, die ihn je älter er wurde, immer mehr zu ersticken drohte. So stiess er auch seinen Freund und Liebhaber den Schriftsteller Verlaine von sich, den er 1871 in Paris kennenlernte und der seine Frau verliess, um mit ihm zu ziehen. Befand sich Verlaine in seiner Ehe zunächst noch in einem einigermaßen geordneten Verhältnissen, in denen er sogar aufgehört hatte zu trinken, so drängte ihn die Bekanntschaft mit Rimbaud in tiefste zerstörerische Bahnen. Nicht nur, dass Verlaine, der einst ein angesehener Dichter war, wieder anfing zu trinken, weil er diesen inneren Druck des Liebens beider Seiten zu Mann und Frau nicht standhielt, sondern
auch, weil Rimbaud ihn immer wieder von sich stiess. Für Verlaine endete diese Liebschaft im Gefängnis, nachdem er betrunken auf Arthur schoss, der diese Liebe für beendet erklärte.



Die Hass-Liebe, die ihn schon zu seiner Mutter prägte, vernichtete auch die Liebe zu Paul Verlaine. Prägungen sind Muster im Verhalten, die einen ständigen Kreislauf verursachen. Menschen, die aus diesen Kreisläufen austreten wollen, ja sie stoppen wollen, müssen sich selbst erkennen, müssen sich darüber bewusst werden.

„Wir sind nicht auf der Welt. Das wahre Leben ist abwesend“, schrieb er einmal. Rimbaud hatte sich längst auf eine Flucht begeben. Eine Flucht aus der Wirklichkeit. Vielleicht um inneren Frieden zu finden, vielleicht auch um sich selbst zu schützen und damit keine neuen Verletzungen ertragen zu müssen. Er existierte in Illusionen.



„Der Dichter kommt an im Unbekannten, und selbst wenn er seine eigenen Visionen schließlich nicht mehr begriffe, so hat er sie doch geschaut. Mag er zugrunde gehen an seinem riesigen Sprung durch die unerhörten und unnennbaren Dinge: andere furchtbare Arbeiter werden kommen und an jenen Horizonten anfangen, wo er selbst zusammengebrochen ist.“

Mit 19 Jahren hörte er auf zu schreiben. Warum ist bis heute ungeklärt.



Arthut Rimbaud starb, zurück aus Afrika, nachdem man ihm sein rechtes Bein auf Grund von Knochenkrebs amputiert hatte, am 10.11.1891 in Marseille.

2004



Bottom



Obgleich die Wirklichkeit zu stachelig ist für meinen grossen Charakter,- fand ich mich nichtsdestoweniger bei meiner Herrin, als grosser, grau-blauer Vogel, der sich zu den Gesimsen der Decke aufschwang und den Flügel schleppen liess in den Schatten des Abends. Ich war, am Fluss des Himmelbettes, das ihren angebeteten Schoß und die Herrlichkeiten ihres Körpers trug, ein grober Bär mit violettem Zahnfleisch und einem vor Kummer gebleichten Fell, die Augen geheftet auf die kristallenen und silbernen Geräte der Konsolen. Alles wurde Schatten und glühendes Aquarium. Am Morgen,- kämpferische Juni-Morgenröte,- lief ich auf die Felder, Esel, meinen Ärger trompetend und schwingend, bis die Sabinerinnen der Vorstadt sich an meine zottige Brust warfen.

Morgenröte

Ich habe die Sommermorgenröte umarmt.

Noch rührt sich nichts an den Palästen. Das Wasser war tot. Die Schattenfelder verliessen die Waldstrasse noch nicht. Ich ging dahin und weckte den regen Atem der lauen Winde auf, und die Edelsteine lugten hervor, und die Flügel hoben sich ohne Laut.
Das erste Abenteuer war, auf dem Pfand, schon voll von neuem, blassen Glanz, eine Blume, die mir ihren Namen sagte.

Ich lachte dem blonden Wasserfall zu, der von Stufe zu Stufe durch die Tannen herniederplätscherte: auf dem silbrigen Gipfel erkannte ich die Göttin.

Da hob ich die Schleier auf, einen nach dem anderen. Im Baumgang, mit schwingenden Armen. Hier und dort in der Ebene, wo ich sie dem Hahn verriet. In der grossen Stadt, da floh sie zwischen den Türmen und Kuppeln der Kirchen hindurch, und laufend wie ein Bettler auf den marmornen Dämmen, jagte ich sie. Hoch oben auf der Strasse, nah bei einem Lobeerhain, hab ich sie umwunden mit ihrem zusammengerafften Schleiern, und ich hab ihren unendlichen Leib leise gefühlt. Die Morgenröte und das Kind fielen hin auf den Boden des Waldes. Als ich erwachte, war es Mittag.

Rimbaud

Lotta Blau, 2005