Art und Geschreibsel

von Lotta Blau & Freunden

Kosmologische Spaziergänge und mythologische Brücken/ Die Kunst des Anselm Kiefer

Gedankenspaziergang

Mit allen Sinnen selbst Bestandteil des Bildes werden! Sich aufzulösen und doch Teil zu werden. Denn so erscheint es zumindest mir, während ich Kiefers Werke betrachte. Obwohl Boden unter den Füßen bewege ich mich ins Bild hinein. Es ist diese scheinbar unendliche Weite, dieses Unbegrenzte seiner Werke. Nicht überladen sind sie, seine Bilder und dennoch voller Sprache, voller Materie und doch löst sich diese auch wieder auf, sobald man sie erfassen will. Der Künstler lädt ja auch dazu ein „ins Bild zu steigen“, indem er zum Beispiel eine Leiter sowohl im Bild als auch außerhalb dessen integriert hat. Das schafft Dimensionen, das schafft Raum und erweitert das Bewusstsein. Nicht zuletzt, da Kiefer manch Bausteine des Lebens oder des Alltags zum Kunstwerk gestaltet, ja beinah verpflichtet. Einige Materialien müssen durch ihn eine Gestaltung durchlaufen. Werden geformt, oder auch in ihrer Beständigkeit aufgespalten. Werden Wandlung mit oftmals neuer Bestimmung. Er baut auch Türme, füllt Räume seiner Kindheit sagte er einmal.

Die Leere der Kindheit kann die Lehre des Lebens werden. Damit sind nicht nur Verluste gemeint, sondern auch Sehnsüchte oder wunderbare Momente der Kindheit, die uns im Erwachsenenalter bereichern... Vielleicht aber auch Defizite, die in den meisten Fällen nie ausgeglichen werden können. Ewige Sehnsüchte können daraus entstehen. Die Schuhe der Kindheit entwachsen uns nie. Wir tragen sie das ganze weitere Leben.

Letztendlich müssen wir uns auch fragen, was Dürr schon fragte - gibt es Materie überhaupt, da alles stetig Wandel ist...und kann man in diese Umformungen eine Zeit integrieren unter dem Gedanken da jeder Baustein des Lebens seine eigene Wandlung hat?  Übergroße Sonnenblumen und ein Mensch im Prozess des Wandelns während des Sterbens. So stellt es Kiefer dar. Chronos wird zeitlos, geht es mir durch den Kopf. Welch Widerspruch zum verwalteten Leben! Die in Register und Schubladen gepresste Zeit wird zur Revolte gegen diesen Irrsinn! In der Mythologie entstand Chronos aus der Finsternis des Chaos und erschuf das Weltenei, eine Art Ur-Wesen, aus dem dann Gaia entstanden sein soll. Ich denke, das ist überhaupt eines der größten Übel - ein Zeitbegriff für jegliches Leben. Betrachten wir uns innen, so hat jeder Zerfall und jeder Neubeginn einer Zelle seinen ganz eigenen Rhythmus...Oft erscheinen uns die Dinge nur gleich zu zergehen. Doch über unser letztes Stündlein entscheiden unter anderem die Telomere in uns und diese sind stark verbunden mit unserer Lebensweise. Könnte man also in der Zukunft unsere Todesstunde voraussagen? Aber wollen wir das überhaupt wissen? Eine gruselige und aufwühlende Vorstellung.

Wir Menschen brauchen immer einen Rahmen, ein Gerüst für den Geist. Gerade heute aber spüren wir, dass das rein Verkopfte nicht mehr ausreichend ist, um die Komplexität der Welt zu begreifen. Wir verstehen, dass die Sinne, das Fühlen, die Intuition und der Kopf erforderlich sind, um uns mit dem Leben zu verbinden. Das eben nicht bei der eigenen Existenz aufhört. Auch nicht bei den Sternen. Weit aus mehr bedeutet es. Anselm Kiefers Kunst baut Brücken. Unsichtbares bekommt in seinen Bilder ein Kleid aus Sprache übergezogen. Das Betrachten seiner Bilder erinnert mich an eine Sternenkuppel unter der ich stand und voller Staunen nach oben schaute.

Die noch so angestrengte Suche nach einer  kompletten Formel, die uns den Schlüssel aller Prozesse liefer soll. Zum Glück wird das nie geschehen, denn zum Glück ist die Beschaffenheit des menschlichen Körpers inklusive des Geistes nicht in der Lage dazu. Seine Fähigkeiten sind dazu zu begrenzt und das Leben, wie das All zu komplex dafür. Darum befindet sich der Mensch auf vielen geistigen Irrwegen, eben, weil er nämlich nicht über seine Grenzen hinaus kann, um zu verstehen, dass das All und das Leben weit größer ist, als er selbst inklusive seiner Fähigkeiten, ob nun mit technischer Hilfe oder ohne,  jemals sein wird. Die Fantasie kann sich Welten und kreative Lösungen erschaffen, abgelöst von einer Realität und Beweislage. Wir erschaffen uns die Welt im Tagtraum. Aber es ist ein Erschaffen aus Vorstellungen oder aus Wünschen, sogar aus Ängsten bzw. den ganzen Sinnen heraus. Im Schlaf koppeln sich vermutlich die Bilder und Emotionen anders, als im Tagtraum. Im nächtlichen Schlaf werden Erlebnisse mit einbezogen, eine schwere Arbeit für den Geist, während bei Tag der Traum eher einem Abschalten der Welt ringsherum gleicht. Ein Gleiten durch Momente der Zeitlosigkeit. Oder ist es eher ein Gleiten durch unbewusste Welten in und um uns? Auch Geräusche während des Träumens können Einfluss auf den Vorgang nehmen.Sogar Gerüche.

Anselm Kiefers Kunst erschafft einen Kosmos, der grenzenlos wirkt. Verbindungen erschafft er zum ganzheitlichen Bildnis des Lebens. Ernst Peter Fischer schrieb einst darüber, dass die verschiedenen Wissenschaftszweige doch voneinander lernen sollten. Das ist auch etwas, was Kiefer bemängelt, indem er sagte: Die Wissenschaft trenne, während die Mythologie das Leben als Eins sehen würde. Ich habe damals das Buch DIE ANDERE BILDUNG gelesen und es trifft doch den Kern unsagbarer Irrwege der Wissenschaft, die auch, aber nicht nur durch getrennte Sichtweisen entstehen. Fern von der tatsächlichen Einheit des Lebens. „Die Sozialwissenschaftler haben uns seit über 100 Jahren eingeredet, dass die Wissenschaft die Welt entzaubert und alles berechenbar macht. Nun müssten wir erkennen, dass Natur und Leben ein „Geheimnis“ bleiben, so Peter Fischer. Dieses Geheimnis finde ich auch immer wieder in Kiefers Werken.

Hinter der Logik also geht es weiter. Hinter dem Sichtbaren ebenso. Manche Menschen können anders sehen, als die Masse. Sie sehen Töne als Formen, sehen Zahlen und Buchstaben  oder Gesichter und Stimmen als Farben. Dies können die Synästheten. Faszinierend, da dies ein Beispiel dafür ist, dass die Wahrnehmung der Welt doch erweiterbar ist und wie ich einmal schrieb: Wir wissen nicht, ob unsere begrenzten Fähigkeiten der Sinne und des Geistes uns die Welt und das Leben so darstellen, wie sie tatsächlich ist oder ob sie nicht doch ganz anders aussieht. Zudem sagte ich einmal, dass wir wahrscheinlich dazu imstande wären unsere Gehirnareale ganz anders und intensiver miteinander zu verbinden, wenn wir uns dessen bewusst sein würden. Schon Einstein bemängelte wir würden nur einen Bruchteil unseres Gehirns nutzen. Synästheten haben erweiterte Fähigkeiten der Wahrnehmung. Was für ein natürliches wundervolles Privileg!

Was also ist der menschliche Geist? Es wird ihm nicht gerecht, ihn mit einer Festplatte zu vergleichen. Denn er ist alles andere, als kalt, gefühllos und strikt linear! Sicherlich speichert unser Gehirn Informationen, aber doch ganz anders, als ein Computer. Allein, dass unser Gehirn unter anderem mit Ernährung und Bewegung gekoppelt ist beweist diesen Irrtum. Leider hat dieser leichtfertige und oberflächliche Vergleich schon großen Schaden angerichtet und die weiteren Folgen sind noch nicht wirklich absehbar. Der menschliche Geist kann ebenso, wie wir nie zu einer endgültigen Weltformel kommen werden, nicht komplett erfasst werden. Bis heute verstehen wir nur einen Bruchteil davon, wie vom Leben überhaupt. Leider ist der Mensch in seiner Selbstherrlichkeit und in seiner Maßlosigkeit nicht imstande sich genau dieses einzugestehen. Aus all diesem Halbwissen geht der Mensch beharrlich auf Irrwegen und siehe, was dabei herauskommen kann: Zerstörung, unnatürliches inszeniertes Chaos, Anmaßung das Leben, ja die Welt zu beherrschen.

Manipulativ, wie er ist, will er sich nach wie vor das Leben und die Welt, neuerdings ja auch das All, Untertan machen. Nichts ist bezeichnender seines begrenzten Geistes, als derartige Bestrebungen!
Aus diesen ganzen geistigen Irrwegen alles beherrschen zu wollen, vorzugeben alles zu wissen und auf diesem gefährlichen Nichtwissen technische Fortschritte aufzubauen, dadurch verbaut sich der Mensch seinen Weg zur Verbindung aller Bausteine des Lebens, die wir in uns tragen und die um uns existieren und welche miteinander verbunden sind. Auch das Wissen ist ein immer wieder neu oder ein zu ergänzender Bausteinprozess. Außer: Unumstößliche und unwiderlegbare Fakten, welche einem Beweis standhalten! Und damit zum wahren Fortschritt, der dem Leben dient und nicht der Vernichtung, der Schädigung und der Kapitalvermehrung.

Anselm Kiefers Bilder sind Bausteine unseres Selbst. Er hält sie uns vor die Nase. Es braucht nur ein Betrachten und Verschmelzen von allen Sinnen und dem Geist.

Lotta Blau/06/2023

Wandlungen
Schattenspiegel, die Bahnhöfe jener Momente, an denen der Wind über die Wange spricht: Innehalten. Licht formt Schatten, die Dunkles sagen können. Aus dem tiefsten Gruben unter den Falltüren, die sich offenbaren und sogleich ändert sich der Sonnenwinkel oder bei Nacht das Gestirn, das durch die Fenster über alle Bilder blickt. Längst alles gemalt erscheint...nun, der Einfallswinkel geändert - plötzlich ganz anders. Da umarmen die Erinnerungen ihre Schatten und beginnen sich zu wandeln. Sogleich treten weitere, neue und alte Momente ihre Spuren der Erinnerungen. Wollen das Vernarbte beleuchten und Tränenbücher golden schreiben. Spürend, wie kostbar jene Wege, die sie nachzeichnen, um sie in blühende Oasen zu treiben.Wie der Wind, seine Dünen formt...ruhen lässt und sogleich wieder Bewegung über sie küsst.
Damals ist immer noch heute. Aber anders, denn es hat seine Schatten verstanden und kann in jedem Gedanken nun ein Licht zünden, das daraus entstanden ist. Doch schon umfasst Finsternis das Herz zu sagen...bebt sich durch die Zukunftsadern, frisst die Bedeutung von Mahnungen und lässt Hüllen zurück. Kaum, dass das Licht zu atmen begann.

Lotta Blau