Art und Geschreibsel

von Lotta Blau & Freunden



Stefan Zweig, wenn der Sturm nicht enden will...

Als Thomas Mann 1942 vom Selbstmord Stefan Zweigs hörte, war er erbost und kommentierte das Ableben damit, ob sich Zweig der Verpflichtung, die er gegenüber Hunderttausenden hätte, nicht bewusst gewesen sei?
Ob er sein Leben denn als reine Privatsache gesehen hätte?

T.Mann hielt nichts vom Ableben durch die eigene Hand.  Später schrieb er über Zweig: "Nie ist mit tieferer Bescheidenheit, feinerer Scham, ungeheuchelter Demut ein Weltruhm getragen worden.“

Thomas Mann stand im brieflichen Kontakt mit Zweig
als sich beide im Exil befanden. Auf die Frage von Mann, wohin Stefan Zweig gehen würde, antwortete Zweig: "Sie sind so gütig, mich nach meinem Wohin zu fragen. Ich weiß es nicht...Ich habe einfach nicht mehr die Kraft, bei Konsulaten, Ämtern um Erlaubnisse, Verlängerungen einzukommen... Einmal muss entweder der Sturm enden, oder man endet selbst.“  1941 schrieb er an Heinrich Eisemann, dass er sich, selbst wenn Hitler zu besiegen wäre, zu erschöpft fühle, um ein neues Leben zu beginnen. Zweig floh mit seiner Lebensgefährtin Lotte bis nach Brasilien. Doch auch dort fand er keine Ruhe. Die Folge waren unerträgliche Angstgefühle vor Verfolgung und Mord, welche sich zu schweren Depressionen steigerten. Thomas Mann fehlte es sichtlich an Empathie den Zustand derart innerlich und äußerlich gequälter Menschen zu erfassen.

Zweig half vielen anderen Verfolgten, schickte ihnen Geld und unterstützte sie seelisch, bis er selbst keine Kraft mehr hatte. Immer war auch seine schriftstellerische Arbeit bedroht. „Wie kann ich arbeiten, wenn ich las, dass über einer englischen Stadt soundso viele Bomben abgeworfen sind, dass im Atlantischen Ozean ein französischer Dampfer torpediert wurde, der dann mit soundso vielen Passagieren unterging. Ich mag die Zeitungen nicht mehr aufschlagen...“ Weiter heißt es: „Wie kann ich atmen, schlafen, essen, wie kann ich arbeiten, wenn ich weiß, dass diese sinnlose Zerstörung am Werke ist, dass tausende und abertausende unschuldiger Menschen von ihr dahingerafft werden. (...)“

Wie beengt muss sich Stefan Zweig vorgekommen sein. Trauer, Erschütterung und Hoffnungslosigkeit hämmerten Tag für Tag an seiner Kreativität, aber besonders an ihm als Mensch. Das Entsetzen über das was Menschen Menschen antaten vermauerten in seinem Inneren immer weiter und immer mehr alle Auswege auf eine furchtlose und glückliche Zukunft. Stein für Stein erstickten seine Psyche, ließen ihn ertrinken in den Tränen des Elends.  

Geboren wurde er am 28.11.1881 in Wien. Zweig schrieb seine Bücher mit dem Hintergrund der Psychologie. Deutlich wird das zum Beispiel in seinem Buch „ Die Augen des ewigen Bruders“ oder auch „ Brief einer Unbekannten“. Tiefsinnig sind seine Texte; immer das Wesen der Menschen und Figuren ergründend. Hinein fühlend in das Denken und Fühlen, verstehend der Hintergründe und Zusammenhänge des menschlichen Wesens.  Zweig stand mit vielen anderen Autoren im regen Austausch, so auch mit Rainer Maria Rilke, der ihm 1908 über sein dramatisches Werk „Tersites“ schrieb: “ Ich kann Ihnen diese Dichtung nicht so im ganzen nachempfinden, vielleicht weil ich in Übergängen bin, die mich die Tatsache der Hässlichkeit leugnen lehren ( wie, entsprechend, ihr Gegenteil: die Schönheit ) ...so daß ich auch die tragischen Konsequenzen der Hässlichkeit im Augenblick nicht so mitfühlen kann, so sachlich Ihre Gestalt sie auch vertreten mag. “Zweig war begeistert von Rilkes menschlicher Art, der über niemanden schlecht sprach. Von wunderbarer Güte sei Rilke, schrieb er in sein Pariser Tagebuch. Über Rilkes „Stundenbuch“ und die „Neuen Gedichte“ schrieb er begeisterte Rezensionen.

Ab 1900 studierte Stefan Zweig an der Universität Wien  Philosophie und Literaturgeschichte und veröffentlichte 1901 seine ersten Gedichte „Silberne  Saiten“. 1902 bis 1903 studierte er ein Semester in Berlin.
1904 beendete er sein Studium.

Zweig schrieb über viele Autoren, auch über Rimbaud, Balzac, Verlaine, Verhaeren oder Dickens. Mit Hermann Hesse verband ihn ein brieflicher Austausch. Viele kreative Köpfe besuchten den Dichter Zweig in seinem Haus in Salzburg, wo er von 1919 bis 1934 lebte. So etwa Romain Rolland oder Thomas Mann, der auch eine Zeitlang bei ihm wohnte. James Joyce, Schalom Asch, Arthur Schnitzler oder auch die Musiker Strauß, Bartok und Ravel waren unter anderem Zweigs Gäste. So vielfältig wie seine Freundschaften waren, so vielfältig war auch sein Leben an sich. Viel und gerne reiste der Dichter. Bahnhöfe liebte er. “ Häfen und Bahnhöfe sind meine Leidenschaft...“, schrieb er in „Reisen und Gereistwerden“.  Jeder Bahnhof, jeder Hafen sei anders, so Zweig.

Alle haben sie eines gemeinsam, sie sind Zeugen der Sehnsüchte der Menschen. Fernweh und die Lust auf Neues und Unbekanntes oder vielleicht auch einen altbekannten Hafen anzusteuern. Auszusteigen aus einer Bahn in einen Ort dessen Menschen und Gepflogenheiten zu einem Kennenlernen reizen. Und ganz sicher spiegeln sie eine Weltoffenheit eines Kosmopoliten, wie Stefan Zweig es einer war, wider. Gerne hielt er sich vor dem zweiten Weltkrieg im Hotel „ Riffelalp“ in der Schweiz auf. Dort genoss er die ersehnte Anonymität, da es wenige Deutsche dahin verschlug. „ Ich mag Hotels, solange  ich niemanden kenne und alle beobachte, (...) So in einem Brief an seine erste Frau Frederike.

1934 zog er sich nach London zurück und reiste in den folgenden Jahre unter anderem nach Paris und Zürich.

1940, die innere und äußer Bedrohung tragend, ging er für einige Monate nach New York, bis er schließlich 1941 nach Brasilien floh. 

An sie schrieb er kurz vor seinem Selbstmord noch einen Brief. Darin beteuert er, dass er sich besser fühlen würde zu jenem Zeitpunkt, da sie diese Zeilen in ihren Händen halten würde. Er könne nicht mehr leben mit seiner „ schwarzen Leber“. Sein Buch „ Schachnovelle“ beendete er noch und schickte es seinem Verlag. An Victor Wittkowski schrieb 1941 er: (...) Ich bin wie Sie total verzweifelt. Unsere Welt ist zerstört und das Grauenhafte kommt erst nach dem Kriege, wenn der jetzt wehrlose Hass in den Ländern sich Klasse gegen Klasse, Mensch gegen Mensch wendet.(...)“

Auf einer seiner letzten Fotoaufnahme blickt Zweig entkräftet, in sich gekehrt und fragend zum Fotografen. Abgemagert und über seiner Stirn tiefe Falten im schwarzen Anzug mit schwarzer Krawatte. Zweig war stets korrekt gekleidet. Er hatte eine feine, zarte,einfühlsame und tief geistige Ausstrahlung. Etwas Unnahbares und doch zugleich auch Herzliches lag über seinem Wesen.

Am 21.02.1942 waren die Eheleute Fedder zu Besuch geladen. Etwas verfrüht betraten sie die Veranda des Hauses von Stefan Zweig und sahen den Schriftsteller schreibend am Fenster seines Arbeitszimmers sitzen.

Er verfasste gerade seine Abschiedsbriefe und erschien den Fedders etwas verlegen, als sie eintraten. Sie ahnten jedoch nicht das Vorhaben von der Selbsttötung von Zweig und dessen Gefährtin Lotte, welches sie am 22.02.1942 umsetzten.


„Einmal muss entweder der Sturm enden, oder man endet selbst.“

Lotta Blau, 2017