Art und Geschreibsel

von Lotta Blau & Freunden

Der werfe den ersten Stein...und es regnete Steine

Ich fühle mich fremd! Geboren in Deutschland, ebenso, wie meine Eltern, fühle ich mich als Mensch dieser Welt. In meinem Pass steht: deutsch. Und doch habe ich mich selbst so nie gesehen, denn der Zufall ist kein Privileg. Noch dazu, da unsere Menschheitsgeschichte eine bunte ist. Wir alle waren einmal ziehende Völker. Jeder einzelne Mensch hatte Vorfahren mit der Keule in der Hand. Viele, welche meinen diese heute immer noch gegen andere Menschen zu benutzen, sind zu bedauern. Es ist bedauerlich, dass die Entwicklung der Menschheit doch recht primitiv blieb, trotz da alle immer vom Fortschritt reden. Aber die Keule ist moderner geworden, so wie moderne Kriege mit modernen Waffen. Zu oft ist die Keule mit Wortkriegen befüllt. Mit der Zeit wuchsen Grenzsteine in den Köpfen. Sie wucherten und manifestierten sich in Herz und Seele. Militärische Kopfmanöver, die allzeit Kriege führen verleiben sich die Sprache ein. Das Denken soll stramm stehen und den Grenzsteinen in den Köpfen salutieren. Die Generäle prüfen morgens ihre Auszeichnungen über der Brust, ob sie auch richtig sitzen. Die Nadeln stecken im Stoff, als würden sie Markierungen auf einer Landkarte setzen. Vielleicht das nächste Ziel.

Jeden Morgen exerzieren ihre Blutströme an den Grenzsteinen in den Köpfen vorbei. Sind sie auch noch alle da? Hat die Einbildung des selbsternannten Stärkeren gut Wache gehalten? Das eine Land schlachtet den Boden des anderen ab. Sät Gräber, statt Blumen. Stiftet Kriege, provoziert, wartet auf die Antwort der anderen Seite, um dann als Held dazustehen, denn der andere hat ja angefangen. Jetzt endlich haben sie ihre Argumente. Jetzt endlich kann man die Länder bis auf die Zähne bewaffnen. Aufrüsten und dann tänzeln sie um die Feuer, die sie überall legen. Begierig darauf, dass sie sich rasch verbreiten. Zwischen dem Sternenlicht wandern die Flugzeuge, die den Tod an Bord haben können. Manchmal erzeugen ihre Kondensstreifen Kreuze am Himmel. Weiße, flauschige Kreuze, die sich wieder auseinandertreiben. Wir wollen Frieden und Gerechtigkeit und werden auseinandergetrieben. Wer in den Krieg ziehen will, muss hassen. Manifestierter Hass ist irrational, darum kann man ihn nicht verstehen, er hat keine Logik, außer auf dem Strategiepapier. Aber wir haben die Freiheit nicht zu hassen, solange wir lieben und geliebt werden können. Der Hass ist immer eine Selbstgeißelung des Einzelnen, eine Bestrafung des Selbst, das sich am zu Hassenden kurieren will. Gleichzeitig hat sich die Empathie vermauert. Unfähig Mitgefühl zu empfinden, auch sich selbst zu spüren. Ein mechanisches Werk, maschinenartiges Leben zwischen kalten Grenzsteinen im Kopf. Kriegsköpfe an Kriegsköpfe im Gleichschritt und Uniform.

Auf die frisch ausgetauschten modernen Raketen strahlt die Sonne: Dann wirf den ersten Stein! Und es regnete Steine vom Himmel! Die alten Raketen waren in die Jahre gekommen. Wer weiß, ob sie noch so töten könnten! Ist ja auch gut für die Aktien und den Rüstungsmarkt. Die Bomber fliegen Dollar-Kurse!

Der eine nimmt den anderen das Brot aus dem Mund, statt es zu teilen. Der eine, wie der andere stopft die Mäuler der Kriegsmaschinerie mit Waffen, statt Brot an die Armen zu geben. Die Brunnen trocknen aus und die Herzen laufen über vor Tränenwasser. Kein Krieg kommt von heute auf morgen, überhaupt nichts kommt politisch von einem Tag auf den anderen. Jeder Krieg benötigt Planung, Strategien, Struktur und den passenden Feind. Manche existieren schon Jahre, bevor man von ihnen Notiz nimmt und aufschreit. Vor allem brauchen Kriege viel Finanzierung. Die Uhren ticken die Lügen voran. Sekunde – Lüge – Sekunde – Lüge...und dann wieder eine Sekunde, einen Bruchteil dessen, atmen sich die Seelen aus toten Körpern. Erschossen, verhungert, verdurstet, gequält oder gefoltert.

Wir müssen die Mahnmale aufeinander stapeln und viel mehr Kränze nach Kalendertagen niederlegen. Einmal im Jahr wird dann großmütig bedauert. Der Himmel reicht nicht aus, brüllen die Kriegsherren auf der Welt aus ihren goldenen Türmen und gebeugt über ihren weißen Tischdecken. Denn die Kriege, diese vielen Kriege überall, die hören nicht auf. Stapelt sie bis in den Himmel, wenn ihr schon mit Gott und Kreuz in den Krieg zieht. Und wer denkt denn schon, dass die besser sind, die selbst Götter sein wollen? Die mit ihren Paraden im Gleichschritt Größe demonstrieren wollen, vor den Tribünen auf den Plätzen, die Gewehre auf den Schultern? Sie lassen im 21. Jahrhundert ernsthaft die Rüstung sprechen. Keine Partei hat immer recht! In ihren Mündern blinken Patronen, statt Zähne. Und Finsteres kommt aus ihnen herausgeschossen. Und dann treten sie vor die Kameras, frisch Agentur beraten, mit feinem Anzug und erzählen, was man ihnen vorher erzählte. Mit Kreide auf den Stimmbändern bitten sie doch ihren Worten, und nur ihren, zu glauben. Nur sie hätten die Wahrheit, wer etwas anderes sagt, der lügt und ist ein Feind. Denn heute gibt es keine Kritik mehr. Wer sich das wagt, der ist draußen. Die neue Normalität soll kritiklos strahlen und glänzen. Man soll sie anbeten, wie man nur eine Meinung anbeten soll. Himmel – Herr - Gott – Hinterfragen ist ja beinah schon ein Verbrechen.

Im Jemen hungern die Menschen weiter. Kindergerippe mit riesengroßen Augen. Andere Kinder leben an Grenzen in Zelten, von Unwettern überschwemmt, vom Schnee bedeckt, zwischen Schlamm und Dreck. Kinder in Slums, auf Müllhalden, Kindersoldaten und Kinder in reichen Ländern, sind arm. Weinen, flehen...Hungerbäuche, Vertreibung. So viele Orte mit so viel Trauer. Da flimmerten Bilder durch die Nachrichten und manche erbosten sich an all dem Unrecht. Es wird dann vielleicht mal kurz drüber gesprochen, wie schrecklich das alles ist und dann wird sich satt gegessen. Die Nimmersatten sitzen derweil auf ihren Konzernstühlen, stehen am Rednerpult, salutieren ihren Börsenkursen und ihren Datenmaschinen, den menschlichen Körpern. Zwischen ihren Patronenzähnen versuchen die toten Seelen aus der Finsternis ihrer Hälse zu kriechen.

 

Ich weiß keine bessere Welt da draußen, aber in mir lebt eine. Sie muss sich jeden Tag neu schützen. Ständig soll sie ausgelöscht werden und doch kann ihr Niemand etwas anhaben. Sie ist nicht gerne gesehen, diese Welt. Dieser Traum, dieses Märchen, diese friedliche Utopie. Diese schöne, gutmütige grüne Dschungelwelt mit ihren Bäumen, Pflanzen, Tieren, den Meeren, dem Himmel, den winzigen Samenkörnern, die sich zu den Augen winden. Zum Licht wollen. Haben wir nicht alle unsere bessere Welt in uns. Zumindest die müssen sie doch haben, die sich eine bessere Welt wünschen. Für die das Leben noch was zählt und das hört nicht an Grenzsteinen auf.

Lotta Blau, 03/22