Art und Geschreibsel

von Lotta Blau & Freunden



Der Baumgeist



Vor langer, langer Zeit lebte einmal ein Baumgeist in einem verwunschenem Wald. Liebevoll und durch sein hohes Alter erfahren in den Dingen des Lebens achtete er auf die anderen Bewohner. Manchmal traf er weise Entscheidungen und schlichtete Streitereien der Tiere oder Pflanzen. Zufrieden und glücklich lebte er all die Jahre, bis sich eines Tages die Botschaft herumsprach - vorne am Rand des Waldes hätte es seltsame Geräusche gegeben. Die Lebewesen des Waldes waren beunruhigt und riefen den Baumgeist. Dieser machte sich auf den Weg, um zu sehen, was dort am Waldrand vor sich ging.

Als er ankam traute er seinen Augen nicht: Da stand eine riesige Maschine mit merkwürdigen Greifarmen und in dieser Maschine saß ein Mensch, der sie bediente. Der Baumgeist trat aus dem Wald und stellte sich vor die Maschine. Als der Mensch den Geist sah bekam er Angst...denn in seiner Welt gab es keine Geister; auch keine Baumgeister. Nun aber stand einer wahrhaftig vor ihm und begann auch noch zu sprechen:

Du...Mensch...schau mich an. Ja, ich kann auch sprechen und ich bin auch kein Traum. Ich bin ein Lebewesen aus dem Wald und verbunden mit allen, die dort leben. Gemeinsam hüten und schützen wir uns und leben so friedlich und glücklich bis ans Ende unserer Tage.

Da wollte der Mensch flüchten...sprang aus der Maschine und rannte los, doch der Baumgeist hatte sehr lange Arme, wenn es nötig war und hielt den Menschen fest. Hör mir zu, denn es betrifft auch dich als Einzelnen, sagte der Baumgeist.

Ich weiß, was Du mit der Maschine vorhast...Du willst unsere Heimat,unseren Grund und Boden, unser zuhause zerstören. Möchtest uns alle klein hacken und zersägen. Dann willst du auf unseren Boden Häuser bauen oder Straßen. Du willst uns in Geld verwandeln. Jeder noch so kleine Grashalm muss dafür sterben. Du glaubst es würde dich glücklich machen mehr Geld mit unserem Leben zu verdienen. Vielleicht für den Augenblick scheint es so...

Du kannst dir schöne Dinge kaufen, dafür dass du uns unser Leben genommen und unseren Wald für immer vernichtet hast. Doch dann hast du dir all die schönen Dinge gekauft und dein Interesse daran lässt nach...so seid ihr doch, ihr Menschen. Was ihr einmal errungen habt, verliert für euch schnell den Reiz. Also wirst du wieder nach Möglichkeiten suchen deine Wünsche zu erfüllen und dich und dein Leben immer voller stopfen. Vor allem aber deine Seele und dein Herz. Sie werden bald überquellen und da es immer mehr wird, wirst du die schöne Eigenschaft - etwas Wertvolles langfristig zu schätzen - immer mehr verlieren. Du wirst immer unglücklicher, denn nichts wird dich mehr erfreuen können.

Dann - in deiner Trauer- bist du oft in den Wald gegangen oder über Blumenwiesen. Du wolltest dich erfreuen. Doch das gibt es nicht mehr. Du hast alles dafür geopfert, damit du dir deine Wünsche erfüllen kannst. Immer trauriger wirst du werden...immer unruhiger und unzufriedener. Immer zorniger und ungerechter mit der Zeit, denn es gibt nichts mehr, was dich trösten könnte oder wo du Zuflucht finden könntest. Verzweifelt wirst du nach Liebe suchen, die du selbst ausgeschlossen hast, da du alles liebevolle um dich herum zerstört hast.

Härter und härter wird dein Herz...kälter und kälter dein Blick. Immer mehr wirst du um dich herum beginnen zu hassen...denn der wirkliche Sinn des Lebens, den gibt es weder in dir noch um dich herum mehr.

Sinnlos erscheint dir mit der Zeit alles. Bitterböse wirst du um dich schlagen, vielleicht sogar Kriege gegen dein eigenes Wesen beginnen. Gegen deine Nächsten. Willst du das wirklich? Dann gebe ich dich jetzt frei für deinen gewählten Weg.

Der Baumgeist stellte den Menschen zurück auf den Boden. Kreidebleich war er geworden und zittrige Knie hatte er bekommen.

Da fiel der Mensch vor den Baumgeist auf die Knie:

Ich habe verstanden...du hast recht und ich war blind. Blind für meine wirkliche Welt, blind dafür, was mir heilig sein sollte. Blind war fast mein Herz, geblendet meine Augen vom schönen Schein...Vergib mir...

Geh nun, sagt er der Baumgeist, nimm deine Maschine mit und komm mich besuchen, wenn du neue Kraft und Energie brauchst und dein Herz nach Liebe sucht, die wahrhaftig ist.

Der Mensch besuchte schon bald den Baumgeist, doch statt Maschinen hatte er kleine Setzlinge mitgebracht und begann sie zu pflanzen. Viele Jahre tat er das und obwohl er wusste, er könnte nie unter diesen Bäumen sitzen, denn dann würde er schon von der Erde gegangen sein, so wusste er doch mit den neuen Bäumen kämen auch wieder neue Waldbewohner. Bekamen Platz und Heimat und so die wirkliche Liebe einen neuen Platz hinzu. Da hatte der Mensch seinen Sinn gefunden und sein beinah versteinertes Herz wurde butterweich und lieb.


Lotta Blau, 2018


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