Art und Geschreibsel

von Lotta Blau & Freunden

Staubträume

Wir müssen uns selbst gebären. Wenn morgens der Augenaufschlag ein erstes Bildnis erschafft, noch verhangen zwischen Tag und Nacht, Trümmernebel der Träume verbleichen, dann formiert sich das Ich. Den Staub der Äonen, der ein Zeuge der Wanderungen in uns ist, treibt sich hinaus. Einatmen, ausatmen. Wen oder was hat er vorher schon berührt, wessen Haut berührt, wessen Lippen umschmeichelt? Oder welchem Vogel auf dem Flügel gesessen. Woher geweht, wohin verweht? Der Staub ersteht auf, schlägt das tägliche innere Buch auf und schreibt die Geschichte des Lebens. Kleidet sie dann in Noten, den Klang seiner Geburt. Dieses Lied ist so alt, wie das erste Atmen der Welt, All – komponiert.

Gedankensklupturen zimmern sich zusammen, verwerfen sich, erneuern sich, manifestieren sich oder suchen alsbald ihr Grab. Dort wollen sie glänzen. Der Tod will seine Berechtigung im Leben und sammelt das Abgehobelte dieser Kunstwerke. Legt es in eine Schatulle und wird es später im Sterbeprozess als Leinwand aufführen. Geheimnisse sind ein ganz besonderer Pfand für das Leben, wie den Tod. Der Tod will sie mitnehmen. Das Leben hat Mühe sie zu verwahren. Manche wiegen so schwer, dass sie die Herzkammern brechen, andere dagegen sind so leicht, wie eine Feder und lassen im Schlaf lächeln oder lachen.


Der Staub kennt sie alle. Er weiß ihre Geschichten und manchmal öffnet er die Verliese und lässt sie nachts durch die Träume wandern. Dann ersteht das Moment aus einer vergangenen Zeit auf und wird wieder Jetzt. Nur in anderer Gestalt, der Träume, die sich aus und in uns gebären. Traumtagebücher sind Zeuge dieser Erschaffung.

Lotta Blau, 2021