Art und Geschreibsel

von Lotta Blau & Freunden

Die Ober- und die Untertanen

Die Erde ist wieder eine Scheibe

Eine kleine Nachtmusik zur Satire

Ich schlage vor, wir verwerfen die Kenntnis, die Erde sei rund und kehren zurück zur Ansicht: Die Erde ist eine Scheibe! Die Obertanen huldigen einem neuen Kult. Ganz eigentlich ist sie sowieso nicht ganz rund. Das passt ja zum menschlichen Wesen. Das wäre doch das Vernünftigste! Die Erde ist eine Kartoffelscheibe. Man erinnere sich an die Geschichte der Kartoffel...diese verband man anfangs sogar mit dem Teufel. Es musste erst ein königlicher Trick her, damit sie als besonders wertvoll gelte. Bewachte Kartoffeln...ja, da begann man diese vom Feld zu stehlen und der Plan ging auf. Wenn etwas derart bewacht würde, dann müsste es auch besonders wertvoll sein. Tatsächlich stellte man in Potsdam eines Tages fest, dass die Erde ein wenig wie eine Kartoffel aussieht. Zumindest aus der damaligen Perspektive. Heute ist sie eben wieder eine Scheibe. Schließlich gelten ja heute viele Erkenntnisse und Grundsätze nicht mehr. Ja selbst der Eid des Hippokrates scheint ja hinfällig. Newton fiel ja auch nicht der Apfel auf den Kopf und Kalkutta liegt nicht wirklich am Ganges. Wie gut, dass ich im vorigen Jahr nicht vom Ende der Welt heruntergefallen bin. Es wird wohl noch dauern, bis man genau weiß, wo der Rand der Scheibe liegen könnte, sagen manche Wissenschaftler. Aber fragen soll man nicht. Fragen ist nun nur erlaubt, wenn man Fragen stellt, die den Antworten der Obertanen nicht ins Gefecht stürzen. Man solle auf der Scheibe vorsichtig sein, egal wo man sich befindet. Zudem könne niemand mit Gewissheit sagen, was die menschliche Zivilisation unter der Scheibe erwarten könnte. Der ein oder andere sei schon gefallen, berichteten manche Zeitungen. Das wäre sehr bedauerlich, schrieben sie. Und es könne sogar sein, dass sie etwas Furchtbares erweckt hätten, da sie nicht auf die Warnungen gehört hätten. Die Verkaufszahlen stiegen rasant. Die Bevölkerung war außer sich! Es gab kein anderes Thema mehr. Alles Sonstige war nun nebensächlich. Zum Beispiel interessierte es niemanden mehr, dass der Nobelpreis an einen Wirtschaftswissenschaftler verliehen wurde, der einen Sprung in der Tasse exakt berechnen konnte und genaueste Vorhersagen traf, was die Neukäufe betraf und deren Auswirkungen der Produktionszahlen auf die Konjunktur. Man interessierte sich auch nicht mehr für den klammheimlich abrasierten einheitlichen Oberlippenbart der sogenannten Elite der Obertanen und noch weniger für die Gründe dafür, der als solcher Mikroben beherbergte, denen man nicht mehr Obertan sein konnte. Diese Infektiösität durch zu viel Lügen und sokratische Inkontinenz stieg unerträglich an. Mit dem Ergebnis, dass keine noch so schöne Mundpropaganda, keine noch so hübsche Rede oder gar Telefonate in Netze der Verstrickungen möglich waren. Also beschloss man sich die Bärte abzurasieren. Jetzt haben sie alle freie Münder, die Obertane. Alles spritzt nur so zwischen ihren Zähnen heraus. Der Haifisch, der hat Zähne. Die derzeitige Währung ist auch am Besten abzuschaffen. Die drei Groschen sind wieder angesagt. Der Pudel leiht sie dem Mephisto sicher gerne. Mit Zinsen. Zinsen sind was Feines. Man glaubt gar nicht, wie herrlich es ist mit Zinsen die Briefkästen zu füllen. Ganze Firmen passen in Briefkästen und dubios erscheint, dass diese Firmen ohne untergebenes Personal gerne ihre Post ins Ausland schicken. Überhaupt...elektrische Postkutschen wären doch auch was. Digitale Posträuber sind doch langweilig.

Die letzten Tage der Menschheit scheinen angebrochen. Kraus sitzt in einem neuerrichteten Grenzhäuschen und wettert gegen die Presse. Ein Gefährder, ein Demokratieverweigerer! prescht es über alle Grenzpfeiler. Günter Grass mahnt zur Langsamkeit, ich auch. Thomas Bernhard will sich mit Kraus solidarisieren und erntet Spott und Häme. Ob er denn nicht wüsste, dass Kraus längst tot sei. Natürlich wusste er...aber alle Erkenntnisse sind ja aufgehoben. Spielt keine Rolle mehr, ob lebendig oder tot. Oder wo sich ein Geist niedergelassen hat. Die Existenz der Materie war ja immer auch ein großes Thema. Das ist nun hinfällig. Kafka ruft Bernhard aus dem Jenseits an. Er hätte es immer gewusst, sagt er. Das Urteilen ohne Schuld würde kommen. Im Grunde sei es ihm nun egal, er lebe im herrlichen Schloss in den Wolken. Aber er hätte schließlich mit Freud eine Zigarre geraucht und dabei sinniert, was auf der Erde so los sei. Freud attestierte eine Massenhypnose, sowie Neurose. Das käme überwiegend vom Vaterlandskomplex, aber nicht nur. Die Angst sei manifestiert und zwar so sehr, dass es wieder Fronten wie im Krieg gäbe. Hawking und Einstein gesellten sich dazu. Es sei zu mühsam, aber nicht abdingbar an eine Kehrtwende zu glauben. Einstein erinnerte sich an schlimme Zeiten in Deutschland, als Wissenschaftskollegen ihn lächerlich zu machen versuchten. Ob Gott denn nun würfelt oder nicht, stellte Freud die Frage. Einstein antwortete: Wenn er würfelt, dann eine irrationale Zahl. Schließlich sei alles relativ. Hawking rief dazwischen: Das wäre unmöglich. Die Phantasie ist grenzenlos, gab Einstein zurück. Eccles gesellte sich dazu. Schwieg aber zunächst. Dann stellte er die Frage, ob das Huhn eigentlich wüsste, dass es ein Bewusstsein hätte und ob es weiß, dass es ein Huhn sei. Schließlich wisse der Fisch ja auch nicht, ob das Wasser heute anders sei, als gestern und was Wasser überhaupt sei. Sokrates, noch mit dem Schierlingsbecher in der Hand, ging gemütlich und gelassen von einer Wolke zur anderen. Blieb dann stehen und begann Fragen zu stellen und hörte nicht mehr auf. Das ging den Geistern auf den Geist und sie nahmen Reißaus.

Die Wolken aber hatten genug. Sie ließen einen mächtigen Regen los, der auf der Erde zur Sinn-Flut wurde. Kant kam angeschwemmt. Er wollte wissen, ob der Geist schwimmen könnte. Sei es vernünftig, etwas herausfinden zu wollen, das eine Antwort nicht wirklich von Nöten habe? Noten? Wo? Beethoven kommt herangebraust. Alle Menschen werden Brüder...

Astrid Lindgren rettet sich auf einen Baum. Alten Weibern, sagte sie, kann man es nicht verbieten auf einen Baum zu klettern. Von da oben sieht sie Altenberg gerade durch die Praterallee schwimmen. Rette sich wer kann, ruft es ihm hinterher. Es ist Schnitzler, der aus seiner Praxis gerade nach Hause wollte.

Da die Erde ja wieder eine Scheibe ist, ist natürlich auch alles andere hinfällig. Das Rad der Zeit dreht sich zurück. Die letzten Tage der Menschheit. Jedermann hat ausgedient. Dem Obertan wird es nichts mehr nützen seine Untertanen erziehen zu wollen. Die Fruchtblase des menschlichen Daseins und seinem unersättlichen Hunger nach allem Vernichtenden ist geplatzt. Die Rückentwicklung des Lebens ist nicht aufzuhalten. Die Erde ist wieder eine Scheibe. Der Krieg ist und bleibt modern. Der tatsächlich moderne Mensch aber eine Utopie, denn er müsste sich zum Kind rückentwickeln. Wie sagte Kästner: Nur wer Kind geblieben ist, sei ein Mensch. In etwa. Des Kindes Welt, wenn es Kind sein darf, ist eine andere, als die der Erwachsenen.

Bild und Text Lotta Blau, 2021