Art und Geschreibsel

von Lotta Blau & Freunden

Zeitstarre

Eines Tages zog man dir ein weißes Laken über deinen schneeweißen Körper. Der Raum in meinem Kopf verbrannte an dieser Helligkeit. An der Wand spielte ein Schatten mit einer Blume. Sie stand in einer feuerroten Vase. Da griff eine Hand nach meiner. Eiskalt umschlang sie dann mein Handgelenk. Diese Kälte durchfuhr meinen Körper. So sehr ich auch versuchte eine Gestalt auszumachen, die zu der Hand gehörte. Es gelang mir nicht. "Komm", hörte ich. Wohin?, antworte ich. Es kam keine Antwort zurück. Aber die Hand blieb und das ganze Zimmer gefror. Die Wände zu Eisschollen, die sich knirschend aneinander reihten. Der Boden wurde ein Feld, aus dem Schnee nach oben wehte. Zur Zimmerdecke. Blicke zu dir. Auf deinem Laken blühte Sonne. "Komm", hörte ich wieder. "Komm Abschied". Auf meiner Zunge wuchs ein Eiszapfen. Er verhinderte, dass ich antworten konnte. Die Hand ließ mein Gelenk los und setze sich über mein Herz. Es gefror auf der Stelle. Ich starb. Ich starb langsam. Auf der Blume in der feuerroten Vase hatte sich eine Fliege niedergelassen. Sie setzte sich und wurde zu Eis.


Dann löste sich dein Körper auf. Er schmolz ins Nichts. Zurück blieb das golden farbige Laken. Sonnen erblüht begann es zur Decke zu fliegen und schmolz den Schnee über mir. Die Eisschollen waren inzwischen leuchtend blau gefärbt. Wie in den tiefsten Eismeeren und rieben sich weiter aneinander. Sie machten Krach und sprachen so miteinander. "Zeitstarre", sagte die eine. "Schmerzspiel", sagte die andere. Es gibt nur noch Atem in mir, der sich warmfeucht ins Zimmer verliert. Keine Sprache. Die Fliege fällt von der Blume und zerschellt in kleinste Partikel. Die Hand öffnet meinen Brustkorb und umfasst jetzt von innen mein Herz. Es droht zu zerspringen, wie die Fliege. Ich will protestieren, mich befreien, aber es geht nicht. Ich kann nicht. Bin unfähig mich zu bewegen. Und was dann? Während ich versuche mich zu befreien, rauschen aus dem Nichts Worte zu mir. Eis ummantelt suchen sie meinen Mund und legen sich auf meine Zunge. Dann formen sie sich und beginnen zu sprechen: "Geh hinaus", sagen sie. "Geh aus deiner Erinnerung hinaus. Du hast dich verfangen. Es ist lange her. Der Tod hat keine Worte, aber er spricht mit uns.

Foto und Text Lotta Blau, 2021