Art und Geschreibsel

von Lotta Blau & Freunden

Tage wie diese

Die knöcherne Hand aus dem Nirgendwo winkt

Gestern blätterte sich mein Bilderbuch im Kopf zu jenem Tag, als ich dir als Jugendliche begegnete. Das Foto von dir in mir war verblasst, aber als ich einen Mann sitzen sah, der dir ähnelte, da färbten sich die Farben wieder ein. Deine Augen, dein Mund, deine Stimme, deine Hände, dein Geruch. Ich sah dich übermütig herum hüpfen, hörte dich über Pläne sprechen  und begegnete uns im konservierten Kopf-Film. Medizinstudent, wie einst dein Vater. Aber gleichzeitig zog es dich auch zum Theater. Ich seh dich auf eine Bank hüpfen und eine Rolle spielen. Für einen kurzen Moment kamst du mir zu aufgedreht vor. Doch dann kamen auch die Bilder wieder, dein Tod, dein Grab, dein auf furchtbare Weise vollzogener Suizid. 

Du hast deine empfundene Ausweglosigkeit gut vor mir kaschiert. Noch Jahre hab ich mir Vorwürfe gemacht, ob ich es nicht hätte merken müssen. Passend zu deinem Studium sezierte sich mein Herz und mein Gehirn jeden Tag neu. Suchte nach Antworten, suchte dich zu hören, dich zu umarmen. Ebenso Jahre später hatte ich es überwunden, ganz mit mir selbst ausgemacht, es musste erst diese Erkenntnis in mir reifen. Ich kannte dich nicht lange genug, konnte es nicht erkennen, hatte keinen Vergleich des Zustandes deiner Seele. Jahre hatte es mich gequält. Dein Tod war eine schwere Last in meinem persönlichen Rucksack. Dann endlich konnte ich Frieden mit deiner Entscheidung schließen. 

All das ist nun viele Jahre her.
Was bleibt? Du, manchmal noch sichtbar, doch oft hinter dem Horizont des Täglichen, im Bilderbuch, im Videodreh meines Kopfes und im Schachspiel  meines Herzens. Denn hinter der Logik geht es weiter, wenn die Erlebnisse mit der Vergangenheit tanzen. Wenn sie die heutigen Figuren kurzfristig Schach Matt setzen, den gewohnten Ablauf unterbrechen, die knöcherne Hand aus dem Boot aus dem Nirgendwo winkt und sagt: Steig ein! Weisst du noch? Früher trieb es mir einen Sturm durch die Augen, heute ist mein Blick im weißen Tuch umwickelt. Frieden, auch wenn ich mich kurz darauf einlasse im ewigen Kopftagebuch zu blättern.
Wie in einem Kalender längst zu eingekellerten Stufen in die Erinnerung zu gehen. Jeder hat das Recht zu wählen, ein Leben gehört niemandem, aber die, die zurück bleiben müssen lernen zu akzeptieren, was geschehen ist und loslassen. Für manche Menschen ist das Leben nur Sturm gegen den sie ankämpfen müssen. Es ist ihre Welt, jeder hat seine eigene in der anderen.

Das Leben und die Liebe hören nicht auf den rosa Elefanten. Dazu habe ich einmal ein Märchen (Siehe unter Märchen auf dieser Seite) geschrieben. Du kannst versuchen wegzulaufen, kannst die ganze Welt umrunden, kannst dir einreden zu vergessen, doch immer holt es dich ein. Bis du Frieden damit schließen kannst, bis es ruhen kann, bis es verblasst, aber auch, bis es vielleicht wieder einmal in dir blättern will. Doch immer bleiben Erinnerungen Bild in dir und sind umhüllt von jenen Gefühlen, jenen Gedanken, die damals abgespeichert wurden. Jederzeit bereit eine Bilderbuchreise durch die Kopf-und Herz-Zeit zu starten. Dann zeigt sich, ob die Wunden verheilt sind oder nicht.

Bild: Hinter der Logik geht es weiter und Text Lotta Blau/2023