Art und Geschreibsel

von Lotta Blau & Freunden



Gestern, heute, morgen

Als ich heute einkaufen war, da stand draußen am Eingang wieder dieser Verkäufer von der Obdachlosenzeitung fifty fifty. Blass, schmal und noch so jung stand er da und hielt die Zeitung im Arm. Ich kaufte ihm eine ab und sagte, das ist doch jene neue Ausgabe mit den Straßenhunden. Er verstand und zeigte mir den Kalender für nächstes Jahr. Der Erlös kommt den Tieren und Besitzern zugute. Der Kalender hängt jetzt in meiner Wohnung.

Ich ging dann in den Laden und musste erstaunt feststellen, dass schon wieder gewisse Regale ziemlich leer aussahen. Klopapier und Zucker fehlten beinah komplett. Was ist das nur für ein Zustand, dachte ich. Die einen machen sich Sorgen um ihren Vorrat und die anderen sorgen sich um ihre blanke Existenz, denn nicht nur die Corona -Politik hat sie noch ärmer gemacht, sondern auch die immer stärker werdende Ignoranz und Angst. Obdachlose könnten ja besonders ansteckend sein.

Die Bilder in den Köpfen möchte man manchmal sehen. Wie die Herausgeber der Zeitung selbst sagen, gefährdet die Krise zusätzlich den ohnehin ewigen Kampf ums Überleben. Die Digitalisierung tut ihr Übriges dazu. Aber an der Zeitung hängt nicht nur Hilfe durch die Verkaufszahlen, sondern auch die Menschlichkeit den Ärmsten gegenüber und zum Beispiel auch die Finanzierung von Hilfen und Wohnungen. Das Zeichen hängt daran, diese Menschen wahrzunehmen, als Teil der Gesellschaft und in ihrer Würde.

Natürlich dürfen und sollen sich alle sorgen. Es besteht ja auch aller Grund dafür. Es ist erschreckend, wie viele nun in Hartz4 landen werden oder gar ganz ohne jegliche Absicherung dastehen und alles verlieren. Die immer weiter steigenden Mieten tun ihr Übriges dazu. Gerade jetzt haben Immobilienhaie und Heuschrecken leichteres Spiel, als sonst sowieso schon.

In gewisser Weise hab ich sogar Verständnis für das Hamstern. Es entsteht aus der permanenten Hinhaltetaktik und Verunsicherung, aus der ganzen Angstschürerei, die die Verantwortlichen auch zu verantworten haben. Mit all ihren Konsequenzen. Auch jener, die noch kommen werden. Und niemand wird dann sagen können, er hätte nichts gewusst.

Mir scheint einen Tag ohne Zukunftssorgen gibt es momentan nicht. Stunde um Stunde, Tag um Tag bewirft man die Menschen mit allen möglichen Zahlen, mit Drohungen, mit schwammigen Ankündigungen und unsinnigen Verdächtigungen. Das bleibt nicht ohne Folgen. Die Menschen werden aggressiver und dieses Verhalten hat nun nichts aber auch gar nichts mit dem vielgepriesenen Miteinander zu tun.
Man schwankt. Sieht, liest, hört...holt sich selbst immer wieder in einen inneren Raum der Hoffnung zurück, der dann wieder aufplatzt, wie ein Eitergeschwür mit der nächsten Hiobsbotschaft aus der Politik.

Seltsame Stimmungen ziehen sich durch diese Zeit. Hier und jetzt zerfällt das Laub im noch lauen Herbstwind. Die Stürme kommen erst noch. Sie warten und ballen sich. Trockene, bunte Blätter zieren die Böden. Manchmal, nachts, Stille, dann wandert das Laub über die Straßen und Wege. Rollt, bleibt liegen, bäumt sich wieder auf, streift die Schienen der Bahn, die im Lampenlicht schimmern und komponieren ihre Zukunft. Was sie wohl bringen wird. Wie sie wohl dann klingt. Der Herbstgeruch streift sich über. Manche Rosenstöcke sind schon in Jutesäcke verpackt. Sehen im Dunkeln aus der Ferne aus, wie Verurteilte auf dem Weg zum Henker. Dabei ist es doch um sie zu schützen. Vor der kommenden Kälte. Wer weiß, wie eisig sie noch wird.

Es frieren so viele, es hungern so viele, es weinen und es hassen zu viele. Wie kann ich dann satt sein, wie kann es mir warm sein...nur das Weinen, das sammelt meine Fragen. Die kommende Armut wird zum Strudel. Die Blicke kehren sich ein, wie man jedes Jahr das Herbstlaub unter den Bäumen entfernt, als sammle man das Jahr ein. Dabei ist es doch so wichtig, dass es sie in der Kälte wärmt, sich wandelt und im Boden versenkt, zuvor legt sich die Mikrowelt darunter zum Winterschlaf. Die gesellschaftliche Mikrowelt, die die Große, das ausmachende Makro des Miteinander zusammenführt und hält, die tut es immer mehr den Insekten gleich. Sie sucht nach Überleben, sucht nach Schutz, nach Wärme im Kalten. Scheu und mager blickt sie. Verunsichert, ob sie noch Platz findet in all dem Unsäglichen.

Wann immer ich an einer Kirche in der Innenstadt morgens mit der Bahn vorbei fahre, dann sehe ich auf den Stufen vor den Türen zwei Menschen schlafen. Decken, Schlafsack und einer davon hat seinen Rollstuhl neben sich. Das Elend als bitteres Bildnis. Ein Bild, das jeden Tag unzählige Menschen sehen, aber nicht betrachten. Es ist kein Kunstwerk in einer Galerie oder im Museum, nein es ist ein bezeichnendes Bild. Eines, das ganz öffentlich seine dunklen Farben ins Licht, zu den Augen, hält. Ein lebendiges Bildnis einer Gesellschaft, der Politik und Wirtschaft und sicherlich auch der ganz eigenen Geschichten.

Nicht weit davon beginnt eine Einkaufsmeile. Ich habe den Zeitungsverkäufer heute nicht gefragt, ob er ein Daheim unter freien Himmel hat und welchen Ort er dafür ausgesucht hat. Unter einer Brücke, hinter einem Gebüsch mitten in der Stadt, die doch so glänzen will und ihr eitles Gesicht in die Welt blökt. Wie schön...Düsseldorf...wie schön. Wie schön man hier riesige Steine unter einer Brücke nahe der Königsallee legte, um die Obdachlosen zu vertreiben. Wie schön man unweit des Bahnhofs, ziemlich versteckt, den Ärmsten noch das Letzte aus den Zelten nahm und sie vertrieb. Die Stadt muss sauber sein. Äußerlich und innen ist sie verschmutzt, wie überall. Die Steine wurden wieder, auf Grund von Protest, entfernt. Aber allein das Vorhaben ist widerwärtig. Nicht weit davon erfreut man sich an Prada und Boss.

Mir liegen oftmals sehr viele Fragen auf der Zunge, wenn ich auf solche armen Seelen treffe. Aber ich will ihre Würde wahren. Mich fragt ja auch keiner auf der Straße, wildfremd, wo ich wohne. Das würde ich als übergriffig betrachten. Also lasse ich es. Manchmal beginnen sie ja von allein zu erzählen...

Bild: Vor den Kirchentüren und Text Lotta Blau, 2020