Art und Geschreibsel

von Lotta Blau & Freunden

Pflasterworte

Vier Uhr dreiunddreißig. Eine Amsel begann den Morgen zu singen. Es hat doch immer irgendwie etwas Wehmütiges, finde ich. Vielleicht auch darum, weil man ihr die Bäume und Sträucher kürzlich wegnahm. Man will Geld pflanzen. Jetzt irrt der Vogel herum, heimatlos. Dem Menschen so ähnlich. Heimatlos. Ein komisches Wort. Heimat...ist sie denn nicht im Klang der Nacht? Wenn sie auf der Schwärze mit den Sternen spielt? Ist sie nicht im Baum dort, oder in all den Bildern in uns? Ist sie nicht in den Düften, den Klängen, den Farben? Ist sie nicht im Geschmack des Salzes, das eine Liebe hinterließ, hat sie ihr Haus nicht im Glück. Dort, wo wir meinen glücklich zu sein, oder gewesen zu sein. Bruchstücke, Momente der Leichtigkeit. Ist es denn nicht dieser zarte Widerhall, der durchs Herz krabbelt und Sehnsucht auslöst. Mag das für jeden eine andere sein.

Der Mensch hat schließlich Träume, Wünsche und Wundmale in sich. Der anbrechende Tag, der schimmernd durch die Wolken blickt, berührt den Boden. Er entblößt den Spiegel, dessen Bild versucht etwas Wahres, etwas Ur-eigenes, etwas aufzusplittern in uns. Unsichtbares, Geisterhaftes aus seinem Lumpenkleid zu schälen. Dorthin, will der Spiegel, wo die Geheimnisse in uns liegen und gleichzeitig die Welt, ihr Weh, ihre Liebe, ihr Hoffen, ihre Rufe offenlegt. Das Wolkenlicht bricht sich an den Scherben, schneidet sich, und legt doch einen Pflastermantel nach dem anderen über die Wunden. Es ist diese Ruhelosigkeit, dieses Unsatte, dieses Bangen und innere Zittern: Will, soll, kann...bin ich? Hab ich Boden, bin ich mir selbst Heimat? Kann ich es sein, wenn die Erde sich eines Tages aus mir streut. Die Amsel umarmend und über ihr schönes, schwarzes Federkleid um Verzeihung bittend meine Asche streut. Sich selbst zu durchschauen, das ist Suche nach Heimat. Sinn suchen in den Spiegeln. Die Lumpen mit dem eigenen Blut waschen und dann das Schöne auf die Nabelschnur des Lebens zum Trocknen hängen.

Manche Scherben schleift das Meer in uns. Sein Salz adelt es. Salzblumen wachsen an den Spiegeln. Vergangene Liebe, aber schau...wie schön, was da Neues wächst. Zart, filigran. Amselheimat. Schollen, die sich zusammenwachsen, ihre Narben vereinen, Eins werden. Splittergewächse des Lebens.

Scherbenmünder, die Pflasterworte sprechen.  

Bild und Text Lotta Blau, 2021