Art und Geschreibsel

von Lotta Blau & Freunden

Scheibe Brot...Stell dir vor!

Stell dir vor...sie wollen Krieg! Stell dir vor! Sie ziehen dafür ihr bestes Polohemd und die gute Hose für Sonntags an. Hosenträger sind ja aus der Mode. Sie wollen schick sein, wenn sie in den Krieg ziehen. Morgens rasieren sich die Männer, tragen dann Rasierwasser gegen den Rasurbrand auf und die Frauen stellen sich auf die Waage. Man soll sich ja immer morgens wiegen, noch ohne Brot im Magen. Nüchtern, am Besten. Und dann ziehen sie in den Krieg. Einfach so. Es ist so einfach in den Krieg zu ziehen. Soldaten zu sein. Sie wissen, wie es geht, vom Hören und Sagen, von Berichten und den Radiostimmen. Manchmal haben sie die Trümmer ihrer Großeltern im Kopf. Manchmal redete man darüber. Doch oft und gerne nicht. Manchmal fanden die Kinder oder Enkel nach dem Tod Tagebücher oder Kriegsandenken in den Kommoden. Einiges auf den Dachböden. Fein säuberlich in Kisten verpackt, als Erbstücke. Fotos, Abzeichen und manchmal noch Uniformen. Erbt den Krieg, den Tod und die Gräber. Nehmt...die Köpfe voll damit. Und es gelang. Sie nahmen mit. Und jetzt ziehen sie in den Krieg. Es ist ganz einfach. Der Feind geht gerade über die Straße. Und da drüben, sieh nur, da...so viele Gegner, so viele Feinde, so viele, denen man den Krieg erklärt. Es ist ganz einfach. Heute. Der Feind wohnt sogar nebenan oder obendrüber. Gewehre? OH GOTT, nein!  Das ist doch überholt. Vor der Haustür doch nicht. Ist doch genug mit dem Schießen dort und da auf der Welt. Hier gibt es passende andere Munition. Heute fragt man den einen, wo er herkommt, oder ob er arbeitet, vielleicht auch, ob er politisch konform denkt. Ja, oder nein...also Freund oder Feind! Krieg geht heute nämlich vor der Haustür anders.Gewehre? OH GOTT! NEIN! Heute tötet man den anderen mit Worten, mit Strafen, mit Ignoranz, mit Ausgrenzung. Drohungen und Angst. Damals war das auch schon so. Nur heute ist man ja zivilisierter. Sie sind schon mitten drinnen, im Krieg. Blindgänger gehen über Blindgänger die Alleen entlang. Sogar mit einem schönen Kleid, oder einem Anzug, vielleicht einem Hut, obwohl ja ziemlich aus der Mode. Vielleicht passt ein Hut nicht so gut zum Krieg. Zu elegant.

Die Dachböden haben sicher noch den ein oder anderen Schatz. Fotos, Filme...Abzeichen. Stiefel. Kinderwagen...Schaukelpferde...Erbe. Eine gut verpackte und konservierte Scheibe Brot aus den Nachkriegstagen. Wie ein Goldbarren aufbewahrt. Zu viel Hunger, zu lange...der Magen zu klein, geschrumpft. Und ein Foto vom Brot aus dem Aufschwung. Nach den Trümmern und dem geschrumpften Mägen kam das große Sättigen. Haben und Sein fand auf die Brote. Der Krieg wäre vorbei, sagte man überall. Aber der Schmerz nicht. Mancher ging über Teppiche mit eingewebten Menschenhaaren und aß dort seine Scheibe Brot.

Die erste Scheibe Brot nach dem Krieg fotografiert, so ein Bild fand sich in einer Kiste. Vom einstigem Soldaten. Später hatte er immer einen Bonbon für die Kinder in der Hosentasche. Eine Cordhose mit Hosenträger. Ist ja heute aus der Mode. Aber der Krieg ist modern. Und einen Stock hatte er, der alte Mann. Mit dem er manchmal drohte, wenn die Kinder ihn hänselten. Wegen seinem Holzbein. Sein Bein blieb im Krieg. Blieb in der Vergangenheit. Zerfetzt. Es war ja Krieg. Sein Bein dort und er da. Damals...eine Scheibe Brot. Der sie aß, musste weinen. Er weinte den Schmerz des Krieges auf das, was er dann wieder aß. Weißt du, wie es ist, zu hungern? Wenn andere vor dir ihren Mund bewegen, kauen und an ihren Lippen Krümel hängen bleiben? Sie fallen auf den Boden. Die Tauben kommen und picken sie auf. Aber dein Magen bleibt leer.

Sie sagen es wieder: Wir sind im Krieg. Sie benutzen es wieder, das Wort. Manche tragen wieder Abzeichen. Anständige Leute. Abzeichen machen anständig. Ach, heißt ja heute Button. Ist ja nun Krieg. Wir befinden uns im Krieg, sagen sie. Zivilisiert ist man heute, sagt man und modern. Aber stell dir vor, sie wollen Liebe! Stell dir das bloß mal vor! Was wäre das für ein Krieg gegen den Krieg. Keiner, denn wo Liebe kann kein Krieg einziehen. Polohemd und Kleid sind dann unbedeutend, denn jeder wäre dann sozusagen seelisch nackt. Und dann am Besten die Liebe in Dosen konservieren. Bisschen was aufbewahren. Für schlechtere Tage. Wenn mal wieder alle Krieg wollen und denken! Dann die Truhen und Kisten vor holen, in denen die Liebe Brot verteilt. Esst und teilt Liebe!, steht auf den Dosen.

Stell dir vor, es wird Liebe! Stell dir vor: Es ist!

Lotta Blau, 2021