Stilistische Gedankenhüllen
Als ich zuletzt in Wien war, es war Sommer und ziemlich schwül, da hielt ich es nicht aus im Zimmer zwischen Lüftern, die aufgestellt waren, um Abkühlung zu schaffen. Eigentlich sollte es im Zimmer kühler sein, als draußen in diesem Wiener Sommerwärmekessel. So lief ich einfach los- ohne Karte-ohne Plan. Das mache ich gerne, um einfach an den unmöglichsten Ecken, die sonst wahrscheinlich nie entdeckten Gassen und Straßen oder irgendwo in der Natur zu landen. So auch an jenem Tag, an dem ich dann plötzlich vor Robert Musils Wohnhaus stand. Ich war noch nicht lange unterwegs und stand schon vor dem Haus, dessen Schriftstellers, der einst einer meiner Lieblingserzählungen schrieb:„Die Amsel“.
Als ich diese Erzählung zum ersten Mal las, da wußte ich noch nicht, dass Robert Musil, geboren am 06.11.1880 in Klagenfurt, ein Perfektionist im Schreiben war. Das er oft seine Texte mehrmals neu schrieb und auch kein typischer Schriftsteller war im Sinne von einfach drauf- los- schreiben.
„Stil ist für mich exakte Herausarbeitung eines Gedankens.“ Bis zu zwanzigmal schreibt er seine Texte um. Perfektion- diese Erwartung stellt er an sich und an andere Autoren. Wahrscheinlich stand er sich selbst damit im Weg. Denn Gedanken überholen sich von selbst, sie überschreiben sich, sie überarbeiten sich und können das Chaos in eine anfängliche scheinbare Klarheit bringen. Also muß man sich entscheiden: Entweder man schreibt es auf und beläßt es dabei, wohl wissend, dass man später anderes schreiben würde oder man setzt von vornherein zunächst eine Mauer um das Geschriebene, um es wieder und wieder zu überarbeiten. Hatte Musil vielleicht Angst sich zu blamieren; Angst vor Geschriebenes, was – einmal an der Öffentlichkeit-nicht mehr zurückzuholen war? Es ist ja zum Beispiel kein Geheimnis, dass die meisten Autoren im Rückblick ihrer Schreiberjahre ihre alten Texte zumeist nicht mehr mögen...sie hätten sie wohl anders geschrieben. Heute würden sie es anders ausdrücken...Mich eingeschlossen. Auch mir geht es nicht anders. Kann man Gedanken so lange aus ihren Hülsen befreien- zerdenken- bis nur noch ein Kern übrig ist? Oder ist es gar so, dass man erst den Kern hat und dann die Hüllen drum denkt. Ist es mal so und dann mal so? Sollte man sich diese Freiheit, diese Ungezwungenheit, dieses Loslassen von Perfektion nun zugestehen oder nicht? Was ist wichtiger in der Schreiberei?
Autoren, die öfter Bücher auf den Markt bringen, hält Musil für oberflächlich. Zu ihnen will er nicht gezählt werden. Schriftsteller wie Josef Roth, Feuchtwanger und Leonhard Frank nennt er dazu. Problematisch war auch sein Verhältnis zu Thomas Mann. Ihm warf er ebenfalls vor „Geistesdurchschnitt“ zu sein, was ihm dadurch seinen Erfolg sichere.
In aber beachte man kaum. Man sähe nicht seinen Willen, sondern der Fokus läge auf seiner Ästhetik in der Schreiberei .
Musil war es beinah noch wichtiger als Autor vor seinen Arbeiten geschätzt und respektiert zu werden. Denn nicht der Text war das Ergebnis, sondern der Text forme sich aus den Eigenschaften des Menschen, der ihn verfasse. Wie also kann man denn Lob und Tadel über ein Buch äußern, wenn diesem dem Mensch hinter dem Buch zusteht? Er als Person wollte anerkannt werden und zwar vor seinem Buch.
So lobte man auch sein Buch „Der Mann ohne Eigenschaften“, während man auf ihn selber als Dichter kaum einging. „Wenn ich die Kritik überblicke, sehe ich: Erstens die merkwürdige Erscheinung, daß man den Mann o.E. imstande ist, bis aufs höchste zu loben, beinahe ohne daß dabei für den Dichter davon etwas abfällt.“
Musil war kein Mensch, der sich in literarischen Kreisen wohl fühlte. Verwunderlich erscheint dies in Anbetracht seiner Beurteilung anderer Arbeitsweisen von Schriftstellern nicht. Eine Zeit lang traf er sich im Wiener Cafe‘ Central zu einem Mokka mit anderen Autoren. Dazu zählten u.a. Franz Blei, Karl Otten, Robert Müller und Alfred Polgar.
Immer mußte er dann mit dem Rücken zu Wand sitzen. Manchmal war kein solcher Platz frei, dann wartete er lieber, bis ein Gast aufstand und setzte sich dann. Er suchte eine gewisse Sicherheit, was vermuten läßt, dass er Kontrolle brauchte. Übermäßige Kontrolle entsteht aus mangelndem Vertrauen und Ängsten. Ich wage mal den Sprung zur Perfektion eines Gedankens...
Robert Musil starb am 15.04.1942 in Genf. Ein Grab existiert nicht, da seine Frau seine Asche in einem Wald bei Genf zerstreute.
Lotta Blau, 2006