Tucholsky und zu viel Bier
So viel Wut war in ihm.. und Trauer..an Menge wohl noch mehr als die fünf Biere, und sieben acht Schnäpse, die er schon konsumiert hatte, als ich ihn bemerkte.
"Alle gusch und ihr fangts an mit der Lesung! " Rief er uns zu, als wir uns für unsere Lesung, Tucholsky, vorbereiteten.
Wir blicken ihn, und dann einander, verunsichert, verstört an..," der fliegt eh.." raunte mir eine Kollegin zu.
Er war hager ,nicht verwahrlost aber doch irgendwie zerfahren und zerfallen , die Reste eines kämpferischen Intellekts blitzten hinter seinen Brillen hervor, aber der Alkohol hatte diesen wohl schon zerfressen, sodaß nur noch der Kampfgeist zu spüren war, den er voll Säuferstolz präsentierte.
"Ich bin Kommunist und will den Tucholsky hören!"
Und schon strömte das nächste Bier seine Kehle hinunter.
"Los, anfangen!“
Und jedem, der reden wollte, die Lesung hatte ja, noch nicht begonnen, schrie er ein wildes "Gusch !" entgegen.
Die Versuche, ihn zu ignorieren, fruchteten ncht, er war in einen heiligen Zorn entbrannt..
Als ein Kellner beruhigend auf ihn einwirken wollte, hörte man nur:" Gusch, du Oaschloch!"
Vehement verteidigte er sein Recht, jetzt und hier betrunken zu sein, jetzt und hier Tucholsky zu hören., wann, wenn nicht jetzt, wer, wenn nicht er, er war ja Kommunist, sozusagen Mitstreiter Tucholskys ... und noch konnte er halbwegs gerade stehen,, bereit zur Wehr , bereit sein Recht zu verteidigen.
Gegen drei Kellner mittlerweile , die ihn aus dem Extrazimmer hinausdrängten, in dem wir lesen wollten..
Mit dem Kampfruf "Oaschlecha" ergriff er einen Sessel, hielt ihn vor sich, als gälte es, Löwen zu bändigen und schrie "Fangt´s an mit der Lesung.. i hab Lokalverbot, aber ich hab mein Bier bezahlt..!
Wir taten nichts dergleichen, denn unterdessen war die Zahl der Kellner auf fünf angestiegen, die ihn endlich durch die Tür des Gasthauses hinaus stießen. Durch die Wucht der Kellnerattacke prallte er auf die Mauer des gegenber liegenden Hauses, und dann auf das nasse Kopfsteinpflaster. .
Er rappelte sich heldenhaft auf. und schrie sein "Oaschlecha, i hab bezahlt. " gegen die stummen , dunklen Häuser der Stadt und gegen den beginnenden Sturm, in den er wankte , mit beschmutzter Hose.
Warum erzähl ich das? Es steckte viel Traurigkeit in ihm, Angst, Verirrt Sein. Einsamkeit--- man trinkt ja nicht so viel, wenn man sich wohl fühlt in seiner Haut.
Aber wie kommt man dann durch diese Wolke aus Alkohol und Verzweiflung und Raserei, ihm Ruhe und Nähe zu geben?
Ich hätte ihm andere Zuwendung gewünscht, als die der Kellner.. Hätte er sie annehmen können ?
© Thomas Macek