SEIT DAMALS
Wien in den späten Sechzigern.. den Siebzigern.. wer kann sich erinnern, wer kann sich das vorstellen?
Die Straßen grau und schmutzig, die Häuserfassaden brüchig viel Verkehr in den Straßen..
Ich war ein Kind damals und sah mit großen Augen zu, was da vorging. An Niedertracht, an Verlogenheit und an Rassismus.
Mein Vater war krank und lag in der Allgemeinen Poliklinik, die es nicht mehr gibt und die durch Schnitzlers "Professor Bernhardi" berühmt geworden ist.
Kinder durften damals nicht zu den Kranken, und so mußte ich, mit irgendeinem Buch ausgestattet, gelangweilt und müde auf einer Bank im Eingangsbereich auf meine Mutter warten, die meinen Vater besuchte, gefühlte Stunden lang.
Ich saß gegen über der Portiersloge.
Der Portier, ich denke, er muß damals so zwischen vierzig und fünfzig gewesen sein, schaute manchmal nach mir, ob ich eh brav sei; es war grau in dem Stiegenhaus, der Mantel des Portiers war grau..seine Miene ..grau in der Mariannengasse, draußen, war es grau, in mir war es grau und einsam, während ich auf meine Mutter wartete, es waren graue Tage, eine graue Zeit
Da kamen, munter plaudernd zwei jugoslawische Putzfrauen die Stiegen herunter; sie lachten, grüßten den Portier, lächelten mir zu und waren schon draußen auf der Straße.
Der Portier verließ seine Loge , sah ihnen mißmutig nach, wandte sich zu mir und sagte:
"Sixt, Burli, do kaunst segn, das dar Mensch vom Aff´n abstammt!"
Ich war baff, ich war ca sieben oder acht Jahre alt-- ich verstand nicht, wie jemand so etwas sagen konnte, ich hab´s nicht einmal meiner Mutter erzählt, weil ich mich irgendwie geschämt hab, so etwas zu hören
Bis heut hab ich´s nicht vergessen.
Eine zweite Geschichte, es war einige Jahre später; früher waren meine Haare dunkel und ich werd heute noch sehr schnell braun im Sommer..
Ich war bei einer Hochzeitstafel eines Onkels im Gasthaus "Napoleon" in Kagran ; mir war ziemlich fad, und ich ging etwas spazieren; ich werde so ca dreizehn oder vierzehn gewesen sein.
Es war warm ich trug ein weißes Hemd, dadurch sah meine Haut wohl noch dünkler - in Österreich darf man das schreiben, also noch dünkler aus, als sonst; da wurde ich plötzlich von einer Gruppe von Burschen umringt, alle älter, größer und stärker als ich.
"A Tschuschnbua, den hauma zsaum!" riefen sie ,, sie hielten mich für ein "Gastarbeiterkind", und in meiner Panik packte ich mein tiefstes Wienerisch aus, das ich ihnen entgegenschrie:
"Ah, dea is e von do" sagte einer von ihnen, und so ließen sie mich in Ruh.
Damals bemerkte ich am eigenen Leib, wie brutal und gefährlich der Alltagsrassismus ist; der Vorfall hat mich sehr sensibel für ihn gemacht.
Der Portier der Poliklinik, ich weiß nicht, ob der noch lebt, die Burschen von damals, naja die werden heut alte Männer sein.. wenn sie sich nicht geändert haben, kann man sich denken, welche Partei sie wählen, ihre Haltung werden sie wohl kaum verändert haben.
Es war ja, auch wenn man das nicht gern hört, die Haltung einer großen Mehrheit, viele Geschichten könnte man da erzählen.
Und im Grunde hat sich wenig geändert.. aber seit damals, spätestens mag ich keine Rassisten.
Thomas Neumeister, 2021