Resümee
Diese Tage, sie treffen mich mitten ins Herz. Ich weiß nicht, wie viele Splitter ich mir in den Nächten herausziehe. Manche sitzen zu tief. Die Nacht nimmt mich in ihre Hände, umsorgt und tröstet mich, wenn es schmerzt. Und es schmerzt sehr. Sie singt dabei, die Nacht, wenn sie mich umarmt und ich meinen Kopf an ihren dunklen Mantel lege. Töne aus einer Mischung von Sanftmut und Liebe, die zittrig ist, wie Wasser in einem Glas, das man über einen Tisch schiebt. Ich bin verwundet durch diese Tage, die sich am Wir abreagieren, es wütet im Zwischen und zielt doch auf jeden Einzelnen. Erst, wenn sich die Stunden übereinander geben, wenn das Licht an den Wänden aufhört die Schatten zu jagen, dann lege ich mich schlafen. Der Schlaf verbindet die Wunden mit meinen Träumen. Ich träume allein. Es war noch Trost, als ich mich an seinen Rücken schmiegen konnte. Dieses warme, weiche Vergessen der Zeit. Die Augen geschlossen, das Herz offen, die Poren küssend. Die Pulsschläge begannen sich zu liebkosen und stellten Einklang her. Ein-Klang in der Zweisamkeit. Ein Märchenbuch, diese Liebe, weil wir uns in den Seiten des Buches verloren hatten. Liebe fragt eben nicht, wo Punkt oder Komma ist, sie ist eben oder nicht. Und manchmal verirren wir uns im Glauben an sie, ohne dass sie es ist. Die Nacht begleitet mich zu mir selbst. Mit ihrem Takt klopft sie auf die Gräber in mir. Jeder hat seinen Friedhof in sich. Auf den verschiedenen Feldern liegen verschiedene Verstorbene. Menschen, Wünsche, Träume oder auch schon überstandene Verletzungen. Auch die zwischen Mann und Frau. Das dafür gehaltene Lieben ist wohl heute zu flexibel geworden. Zu viel Grätschen im Alltag werden verlangt oder erlegt man sich selbst auf. Am Tag ist das Gehirn damit beschäftigt wie ein rasendes verrücktes Etwas die Welt zu erfassen, das schreckhafte Gespinst von Unruhe in den Straßen, den vielen Uhren an den Türmen oder denen an den Wänden gerecht zu werden oder den Lärm der vielen Geräusche und Worte zu verarbeiten. Die Hast donnert wie ein zu schneller Zug durch die Gedanken, pocht an die Schläfen, wie ein Hypnotiseur. Und wie diese Uhren rauscht das Denken von einem Takt zum anderen: Schneller...schneller, höher...höher...weiter...weiter...besser...besser...kälter...kälter...schwitzend...und das Lazarett im Herzen kommt nicht hinterher. Schon wieder eine Wunde, schon wieder ein Splitter, schon wieder stockt der Atem, schon wieder huscht eine Grabrede die Adern entlang. Wie soll das alles bloß enden? Die Zeiten haben sich geändert, aber viele Menschen nicht. Der Traum war ein guter Traum. Aber gegen seine Widersacher ist er machtlos. Sie haben ihn in die Flucht getrieben, so wie man selbst die einfachsten Wünsche von ihren weichen Kopfkissen stößt. Aber immer wieder erstehen sie auf. Immer wieder. Kaum, dass sie im Grab enden, wandern sie tagsüber wieder umher. Einfach leben, einfach lieben, einfach alles ausatmen können, alle Zungen in die Züge setzen, Richtung friedlich und Freiheit. Die Nächte sind wie schwarzer Schnee, der die Tage einsammelt und dann seinen Mantel webt. Ihn um die Nächte legt und den schwarzen Winter jede Nacht einläutet. Die Verlorenen der Tage treffen sich alle nachts. Heiliger schwarzer Frieden. Jeder auf seinem Kissen, jeder im Rundgang seiner Gräber, jeder mit seinen Schatten und seinem Licht. Jeder denkt nachts er sei Wolf oder Wölfin mit blickenden Augen. Und leckt die Erde über den Gräbern. Und dann werden alle Wölfe schwarz vom Nachtschnee und der Trost nimmt sie in sich auf. Bis zur nächsten Nacht.
Lotta Blau, 08.21