Ach, diese Fremde überall. Überall das Befremdliche, das lange Geahnte und doch das immer und immer wieder ins Waschwasser getauchte Sprachlose. Dann in der Sonne getrocknet, Licht atmen lassen. Und das Vertraute, das sich nicht erklären lässt? Und trotzdem Distanz hält. Das ist ein Meisterwerk, denn es kann alles ermöglichen oder aber bleibend verharren, wie ein ewig positives Gefühl, das dem Leben zuspricht. Ich habe ihm einmal geschrieben, ob er es gelesen hast, wer weiß. Es kamen keine Worte zurück, jedenfalls nicht von ihm persönlich. Der Novembernebel kroch durch die Straßen, schweigend schminkte er die Gesichter der Stadt, wickelte sich um die Körper. Der Atem des Winters traf die Verlorenen, die mit ihren Köpfen das Grau der Tage abschöpften, als könnten sie ohne nicht leben. Verliebt in die Melancholie, wer könnte es verübeln.
Die Dächer wachsen bei Nacht scheinbar in den Himmel. Auf manchen sitzt noch ein Vogel und besingt die kommende Nacht. Unten schleicht eine Katze um Mauern und Zäune. Sie hat keine Grenzen im Kopf. In den Bergen von Momenten des Tages umarmen sich die türkisenen Stunden. In verglühenden Sonnensegel wiegen sich die Bäume. Nach all den stillen Wünschen in den Augen der Menschen weiß ich nicht wohin mit meinem Wort. Ich will es beschützen, dieses Wort. Es nicht von all dem Hass zertrampeln lassen. Es ist filigran und zerbrechlich und doch im Kern unsterblich. Ich hab es unter eine schützende Glocke gesprochen und ringsherum Spiegel aufgestellt. Will ihm jemand schaden, dann sieht er sein hasserfülltes Inneres, unfähig wirklich zu leben, eindimensionales Fühlen und Denken. Ich öffne den Weg zu diesem Wort nur Menschen, denen ich mir ihrer Friedfertigkeit sicher sein kann. So, wie ich letztens im Museum mit einer Aufsichtsdame über ihren Großvater, der einst im Widerstand war, sprach. Wir standen vor dem Raum mit der Videoinstallation von Marcel Odenwald zur Gedenkstätte Buchenwald. Sie erzählte mir, dass sie die Menschen beobachtete, die in den Raum gingen. Wie sie sich verhielten. Die Meisten, sagte sie, waren eher desinteressiert, nur wenige zeigten sich berührt oder betroffen. Ihr Großvater war auch im KZ und wurde umgebracht. Er war politischer Häftling, weil er im Widerstand war. Ich hätte mich gern noch länger mit ihr unterhalten, wollte aber zum Gedenkmarsch für die Geiseln des 7.Oktober und diese Menschen unterstützen.
Heute bekam ich von einer Freundin ihre neuesten Gedichte zugesandt. Meine hatte ich ihr auch geschickt. Ihre Worte graben in mir, legen die Schreib-Felder im Kopf wieder offen. Die Sonnenblumen sind verdorrt, haben lange geschwiegen. Jetzt treiben sie ihre Samen in die Furchen meiner Zunge. Einen Sommer lang, erzählen sie. Wir haben nur einen Sommer lang zu leben. Ich protestiere. Es gibt kein Sterben, denn in Wirklichkeit verwandelt sich das Leben. Auch der Mensch im Sterben und im Tod. Es ist eine Verwandlung, als würden wir nur von einem Zaubergarten zum nächsten wechseln. Oder von einem Irrgarten in den nächsten. Das tröstet doch, oder nicht?
Aber das Befremdliche fühlt sich wohl in der Fremde. Es spürt die gebrechlichen Wurzeln auf und beginnt sie zu füllen. Es flüstert die Erde entlang, aber innen brüllt es. Die Gesellschaften bröckeln. Europa bröckelt, die Menschlichkeit und das Mitgefühl bröckelt - seit Jahren immer offensichtlicher. Waren sich die Menschen vorher schon fremd, so können sie sich heute nicht mehr erkennen. Menschen gegen Menschen, war es je anders? Aber heute, da scheinen Schlachten begonnen, auch Wort-Schlachten. Es brüllt zum Himmel hinauf, dort weilen die Toten allen Hasses, dort sind sie vereint, dort ist der menschliche Hass machtlos. Der Tod ist ein Gleichstellungsorgan, so würde man doch auf der Erde sagen, nicht wahr? Es ist ihm egal, welche Nation, welche Religion, welche Hautfarbe. Ob reich oder arm. Das Leben gibt die Chance das zu lernen, aber es wird ignoriert.
Wir werden geboren, um uns zu finden und finden uns nie. Allenfalls umarmen wir die Möglichkeiten, liebkosen die Einsichten, die uns besänftigen. Dieses ewige Graben in uns, wer bist du, wer bin ich, wer seid ihr, wer sind wir? Die Freiheit schlägt ihre Trommel ins Herz. Pass auf, denn ohne Freiheit schläft jeder Mensch traumlos durch den Tag, durch sein Leben. Es gibt unendlich viele Neider der Freiheit, die sie mit der angeblichen Sicherheit auffüllen wollen und haben dabei ja doch nur ihr eigenes Wohlwollen im Kopf. Überfüllen. Dieser Eigennutz erstickt die Freiheit langsam. Neider, die Sie unterordnen wollen, vor den großen Götzen dieser Zeit. Jede Ameise verdient mehr Zuwendung und Respekt, als diese Götzen, die meinen, sie seien Ikarus. Manchmal fliegen sie lange, doch irgendwann verbrennen ihre Flügel. Sie glauben die Welt in den Händen zu halten, glauben sie kaufen zu können, oder räuberisch an sich zu reißen, sie säen Zwietracht unter die Menschen, bringen Unruhe und beginnen zu destabilisieren. Das ist ein altbekanntes Muster, das durch die Jahrhunderte existiert.
Aber eine kleine Ameise ist mächtiger, als alle Götzen!
Video: Die Sprache lebt als Heilige und Mörder in uns und Text Lotta Blau/09/2025