Kein: Ja- Aber oder das lehrreiche Leben
Als ich nach vielen Jahren kürzlich in Heidelberg war, da besuchte ich auch Armin Guthers damaliges Haus und erkannte es nicht mehr. Es ist natürlich irgendwann renoviert worden. Seltsames Gefühl, wenn sich die Erinnerung so gar nicht mit dem Heute gleicht. Eine gewisse Fremde durchströmte mich. Damals war das anders, da fühlte ich mich in Armins Haus und Atelier wohl. Das Fotoalbum im Kopf legte mir ein konserviertes Bild nach dem anderen vor. Der Garten mit seinen Skulpturen, den wilden Erdbeeren, der Nussbaum, die Terrasse, auf der wir abends saßen und tiefsinnige Gespräche führten, im Haus der Kamin mit dem Holzkorb davor und überall standen und hingen kleinere Werke an den Wänden, standen auf den Simsen oder den Stufen. Ganz oben, eine separate, aber leere Wohnung. Dort hätte ich damals mit meinem Sohn einziehen können, was ich aus verschiedenen Gründen nicht tat. Gemeinsame bildhauerische Projekte standen an, gemeinsam malen wollten wir. Er sah mich als seine Tochter, sagte er einmal. Kennengelernt hatte wir uns über den Austausch zu unseren Werken. Dann kam die Krebserkrankung meines Sohnes, die sich über einige Jahre zog. Armin hatte seine gerade überstanden und heiratete etwas später wieder, wurde glücklich, starb aber Jahre danach. Meinem Sohn geht es heute gut und er lebt sein Leben, aber es war ein schwerer Weg für uns beide, der uns unglaublich zusammengeschweißt hat, noch mehr, als sowieso schon.
Die Psyche ist ein ganz wichtiger Punkt bei allen Erkrankungen. Selbst im Schlimmsten andere Seiten davon zu finden und darauf aufzubauen, sprich positiv zu denken, trotzdem lachen, trotzdem albern sein, in Momenten, wo es dann auch passt. Über die Sprechanlage auf der Kinderkrebsstation zum Beispiel bei den Schwestern Pizza bestellen, oder einen Puppenspieler einzuladen und den Kindern und Eltern ein Geschenk mit der Aufführung zu machen. Einmal die Chance zu schaffen, dass sie ihre Gedanken weglenken vom Drohenden, vom Bedrohenden, vom Tod, können. Oder einem kleinen Jungen mit einem Fanpaket eine Freude zu machen. Dafür hatte ich extra Kontakt zur Agentur aufgenommen. Kurz darauf starb er leider. Ja, diese Zeit hat mich und meinen Sohn viel gelehrt. Wie kostbar das Leben ist, und manchmal auch wie unerträglich es sein kann. Dort, auf der Krebsstation lagen viele Kinder unterschiedlicher Sprache, Hautfarbe oder Religion. Sie alle hatten Angst um ihr Leben, die Eltern manchmal total am Ende, verzweifelt, suchten bei mir oftmals Trost. Ich weinte nie vor meinem Kind und das hat er mir nachher auch gesagt: Hättest du neben mir geweint, dann hätte ich mich auch noch irgendwie schuldig gefühlt. Es gab oft Situationen in denen auch ich verzweifelt war, aber das hab ich mit mir selbst ausgemacht.
Heute, viele Jahre später, denke ich wieder an diese Zeit. All dieser Hass heute und wie miteinander umgegangen wird, wie leichtfertig Menschen verurteilt werden, wie sich Menschen gegenseitig verletzen oder anderen den Tod wünschen. Ja, wie sie mit ihrem und der anderen Leben umgehen. Wie sie sich anbrüllen, respektlos miteinander sind. Wie unglücklich sie tief in ihrem Inneren sein müssen, es muss dort eine unglaubliche Leere sein und ein tiefes Missverständnis dem Leben gegenüber. Dort, auf der Kinderkrebsstation zählte nur das Heilen und Überleben. Jede Mutter und jeder Vater hatte Angst um sein Kind. Ich habe viele Kinder dort leiden sehen und auch sterben, ich habe aber auch viele Kinder gesehen, die zumindest momentan gesund entlassen wurden. Auch auf Beerdigungen war ich eingeladen, zum Beispiel zu dem kleinen Jungen mit dem Fanpaket. Einige Kontakte hielten sich noch Jahre und ich weiß, dass es den Kindern heute gut geht. Manchmal treffe ich auch noch eine Mutter hier in Düsseldorf zufällig auf der Strasse. Auch ihr Sohn ist mittlerweile erwachsen und lebt sein Leben. Sie war damals auch alleinerziehend, so wie ich und letztendlich allein mit der ganzen Situation. Wir haben Unglaubliches geschafft und immer fallen wir uns in die Arme, wenn wir uns sehen. Das sind Lebenserfahrungen, wissen Sie?
Da hat Hass nichts verloren, da lernt man das Miteinander und lernt dass wir alle gleich sind in aller Verschiedenheit. Verstehen Sie? Da dringt man zum Kern des Menschseins, dass jeder Mensch innen verwundbar ist und spürt nur Verbundenheit und es wird selbstverständlich sich gegenseitig aufzufangen und zu stützen, weil das Leben anders gar nicht funktionieren kann.
Niemand kann jemals die Wunden im anderen Menschen sehen. Man kann sie vielleicht spüren, versuchen nachzuempfinden, doch niemals wirklich erfassen. Erst, wenn man ähnliche Erfahrungen machen würde, dann könnte der Schmerz nachempfunden werden. Dann könnte verstanden werden, was psychische Verletzungen im Inneren eines Menschen anrichten können oder konnten. Der Mensch ist sich Nebenmensch, dabei ist er doch Mitmensch, oder nicht? Worte können beschreiben, können den Schmerz auf eine imaginäre Leinwand malen, die der andere Mensch dann betrachten kann und doch bleibt der Mensch mit seinen Erfahrungen in einer gewissen inneren Ferne zum anderen. Jeder Mensch hat seine Welt in sich, die er in sich bewahrt, aber auch nach außen teilt, weil es gar nicht anders funktioniert. Wie sagte ich einmal: Jeder Mensch sollte sich als ein winziges Teilchen im Uhrwerk des Lebens und des Universums betrachten. Ein Uhrwerk benötigt ein stetiges Gleichgewicht im Inneren und das ist unsere Lebensaufgabe dieses immer wieder einzupendeln, immer wieder auszugleichen. Persönlich, wie auch gesellschaftlich. Immer wieder gegen das drohend Stagnierende gegenzusteuern. Zum Beispiel mit Friedfertigkeit, statt mit Hass und Gewalt. Das Leben ist ein filigranes und komplexes Gefüge.
Heute scheint es, dass es auf der Welt nur noch Gegeneinander gibt, Kriege, auch Bürgerkriege. Es scheint, dass die Demokratie langsam aber sicher erstarkt, was eine fatale Entwicklung ist, denn, wie ich schon vor Jahren schrieb, muss sie immer dynamisch bleiben…siehe auch auf unserer Webseite der Kunstgammler. Innerlich scheinen auch die Menschen erstarkt und leer. Natürlich nicht alle. Demokratie beginnt in jedem Menschen selbst und ist ein Geben und Nehmen, wie auch der Frieden ein Innen und ein Außen hat. Es ist meines Erachtens zwar richtig, dass er innen beginnt, aber auch das Außen mit dem Innen gekoppelt ist. Hass und Hetze jedenfalls können die innere Leere nicht auffüllen und darum führt das niemals zu etwas Besserem, sondern weiter ins Verderben! Besonders auch ins eigene!
Immer muß darüber nachgedacht werden, ob Sie das, was Sie anderen wünschen, für sich selbst auch wöllten! Das ist eine der Grundfragen des Lebens, bevor gehandelt wird!
Nein…da gibt es kein : Ja- aber!
Lotta Blau/ Sep.2025