Art und Geschreibsel

von Lotta Blau & Freunden



Morgen blaue Sonne, eine Parodie auf die Wahrheit

Sie trat zum Fenster, blickte durch die leicht vom Regenstaub verschmutzte Scheibe und stemmte ihre Hände an die Hüften, als wäre sie furchtbar darüber erbost.

"Ab morgen soll die Sonne blau scheinen, sagen sie".
Er fühlte sich gestört, versuchte gerade zum dritten Mal seinen Schnürsenkel am rechten Schuh durch die Öse zu ziehen. Der Senkel hatte sich daraus gelöst.
"Herrgott noch mal! Jetzt könntest du mir wirklich einmal helfen!"
Dann sah er zu ihr. Sie drehte sich zu ihm um.
"Kannst du dir sparen, deine Mühe. Schnürsenkel sind ab Morgen verboten. Ab Morgen dürfen nur noch Knöpfe an den Schuhen getragen werden!"
Sie nahm ihre Hände von den Hüften, strich sich über ihr Shirt, als würde sie irgendwelche Krümel darauf vermuten und öffnete dann das Fenster.
"Wer sagt denn das? Was soll das für einen Sinn ergeben? Soll man an alle Schuhe jetzt Knöpfe nähen? Und mit was soll ich die zumachen? Ich mein, wie soll das gehen?"
"Man muss es wollen, dann würde es auch schon irgendwie klappen, haben die gemeint!"
Sie lehnte sich auf die Fensterbank, streckte ihren Kopf raus und seufzte. Früher war er mal einfallsreicher, dachte sie.
"Überhaupt! Wer ist DIE?", gab er zurück. " Das ist ja irre!"
"Kam heute morgen in den Nachrichten. Steht es denn nicht auch in deiner Zeitung?"
"Nein."
"Jedenfalls, wer ab Morgen keine Knöpfe hat, der macht sich strafbar, sagen sie. Und außerdem soll morgen die Sonne blau scheinen. Da soll man drauf achten."
Unten, vor der Tür, hielt ein Auto. Zwei Frauen, ein Kind und ein Mann stiegen aus.
"Siehst du, die haben alle schon ihre Knöpfe dran."
Er stand auf, ging zu ihr an das Fenster und sah hinunter.
"Ja, scheint so. Aber ihre Schuhe sind offen. Ist ja irre. Wie soll man auch plötzlich irgendwelche Knöpfe dran befestigen. Sie haben sie behelfsmäßig dran geklebt. Sieht man doch. Soll man ab nun mit offenen Schuhen gehen, nur weil Knöpfe angeordnet sind? Wer denkt sich das eigentlich aus?"
Er ging vom Fenster weg, setzte sich wieder in seinen Sessel. Er nahm seine Zeitung und blätterte sie durch.
"Hier steht nichts", sagte er. "Hätte mich auch gewundert!"
"Dann taugt dieses Blatt wohl nichts, wenn noch nicht mal das Wichtigste drinnen steht!", gab sie etwas forsch zurück. Ihre Stimme erhob sich dabei.
"Und was willst du eigentlich mit der blauen Sonne! Das glaubst du doch nicht wirklich, Maria!" Er schaute sie schelmisch an.
"Doch! Wirst sehen! Blaue Sonne. Wenn die das sagen, wird es schon stimmen. Sie sagen es ja nicht umsonst jeden Tag und erinnern uns daran. Wieso musst du immer alles hinterfragen? Kannst du nicht einmal etwas einfach so annehmen? Übrigens sagen die das schon seit Wochen...und haben das Datum bekannt gegeben. Und das ist morgen. Punkt zehn Uhr! Da schaltet das gelbe Sonnenlicht um und wird blau. Hast du denn nicht all die Sendungen dazu gesehen?" Sie schloss das Fenster und ging in die Küche. Machte das Radio an, um die Nachrichten zu hören. Weil sie wollte, dass auch er sie hört, drehte sie es lauter: Sogar an erster Stelle kam nun erneut der Hinweis darauf: Denken Sie daran! Morgen bekommen wir alle blaues Sonnenlicht geschenkt! Gelb gehört der Vergangenheit an. Es war ein langer Weg und hat viele Jahre gebraucht die Sonne zu wandeln. Tausende Wissenschaftler haben Jahrzehnte daran getüftelt. Nachdem es gelungen war den Mond als neue Agrarfläche zu gestalten, brauchen die Pflanzen da oben statt gelbem Licht nun blaues! Morgen ist es soweit! Ein großer Schritt für die Menschheit und deren Fortbestehen! Übrigens: Es werden noch Erntehelfer gesucht! Melden Sie sich freiwillig!
"Maria! Du glaubst das doch nicht wirklich!"
Er war entsetzt.
"Nein, ich hatte keine Ahnung und ich hab davon auch noch nichts vorher gehört, denn ich hab lange keine Zeit mehr in das Schauen dieser Nachrichten investiert. Da les ich lieber meine Zeitung, ohne all diesen Blödsinn. Solltest du vielleicht auch mal tun. Hast du vergessen, was real ist? Wirklich, manchmal frage ich mich..."

Er kam nicht dazu auszusprechen. Sie war wütend, weil er sie mal wieder als bisschen dumm hinstellte. Jedenfalls fasste sie es so auf.

"Ich glaube das! Warum sollten sie lügen? Du meinst also alle, die das glauben, sind blöd? Nur du nicht? Oder wie? Bloß weil du dich abkapselst in deine eigene Welt?"
Dann schlug sie die Küchentür zu und drehte das Radio noch lauter. Das Thema mit den Knöpfen kam auch noch einmal und alle wurden ermahnt sich daran zu halten. Es wäre sehr wichtig, dass man das täte.
Er hingegen versuchte ihre Wut zu überhören. Was ist bloß mit den Menschen passiert, dachte er sich. Irgendwie scheinen sie alle verrückt nach irgendwelchen seltsamen Hirngespinsten geworden zu sein. Wie kann man als normal denkender Mensch all diesen Unsinn glauben? Blaue Sonne, Felder auf dem Mond, Knöpfe statt Senkel...was käme als Nächstes? Was ist eigentlich los? Maria war früher so klug und wissbegierig. Seit einiger Zeit scheint sie sich verändert zu haben. Nein, sie hatte sich verändert. Früher hätte sie all diesen Quatsch nie geglaubt. Und nun? Und offenbar war das bei vielen Menschen so. Der Verstand wird irre. Die Fähigkeit zu hinterfragen war beinah verschwunden. Alles wurde einfach so geglaubt und hingenommen. Es schüttelte ihn und er fragte sich, was er tun könne, um Maria wieder zu Vernunft zu bekommen. Er ging zu ihr in die Küche. Sie saß am Küchentisch, das Radio vor sich.
"Hör mal",sagte er. "Vielleicht hast du recht und morgen ist die Sonne blau. Ich werde mit dir kurz vor zehn Uhr gemeinsam am Fenster darauf warten. Und wo hast du den Zwirn für die Knöpfe...ich werd sie mir versuchen irgendwie an meine Schuhe zu nähen. Komm, sei wieder gut. Die Zeit ist schwer und wir sollten es uns nicht auch noch schwerer machen. Dann nahm er ihre Hand, streichelte ihre Wange und küsste sie. Sie umarmte ihn.
"Denk daran", sagte sie.
Am nächsten Morgen standen sie zusammen am Fenster und warteten. Und dann war es soweit. Punkt zehn Uhr. Die Sonne blieb, wie sie immer war für ihn.
"Schau nur", sagte sie...Ihre Augen strahlten und sie kniff in sanft in den Arm.
"Sieh doch! Sie ist tatsächlich blau! Ich hab es dir ja gesagt! Siehst du...sie lügen nicht!" Ihr Gesicht strahlte. Sie küsste ihn.
Er wusste nichts mehr zu sagen, nur, dass er nun ein bisschen Luft unter der neuen blauen Sonne bräuchte, nahm seine Jacke und ging nach unten. Er kam erst nachts nach Hause, als sie schon schlief. Gut, wenn es sie denn glücklich macht, dachte er sich und nähte die Knöpfe an.

Lotta Blau, 2021