Art und Geschreibsel

von Lotta Blau & Freunden

KRIEGSGESCHICHTEN

Ich habe den großen Krieg nicht mehr erlebt, aber in meiner Kindheit war er noch spürbar.
Da waren die Bombentrichter im Überschwemmungsgebiet, da waren Lücken in den Häuserzeilen, da war die Ruine des Nordbahnhofes , da waren Männer , die nur ein Bein hatten, oder einen Arm, mein Onkel, den ich sehr mochte, hatte ein zerfetztes Gesicht , bei einem Granatangriff in Rußland wurde ihm die Nase und der halbe Unterkiefer weggerissen, er war schon im Totentransport und er erzählte mir, er habe  eine Hand gespürt, die Hand eines Kameraden , an seiner Uniformjacke, doch, als er sie abschütteln wollte sah er, daß es eine abgerissene Hand war, die sich an ihm festgekrallt hatte.
Ja, der Krieg war noch in den Menschen spürbar; alle, die damals  erwachsen waren, hatte ihn erlebt.. hatten ihn erlitten; main Vater war sogar Soldat gewesen, mit 17 Jahren, meine Mutter  war nach einem Bombenangriff verschüttet; der Luftschutzkeller neben dem ihren brannte aus, und sie sah,  wie man die verkohlten Leichen barg.

Die Erwachsenen erzählten viele solcher Geschichten,  zum Teil mir direkt, zum Teil aber hörte ich zu, wenn sie miteinander sprachen,  und das Thema Krieg kehrte immer wieder; der Krieg war noch spürbar in den Menschen.
Eine dieser Erzählungen blieb mir besonders im Gedächtnis; eine Großtante erzählte sie, ich kann mich noch  genau an das Zimmer erinnern, in dem wir saßen, und sogar an den Platz, an dem ich mich befand...
Der Sohn einer Nachbarin hatte Fronturlaub erhalten, und es war sein letzter Tag, er war dabei , seine Sachen zu packen und seine Uniform anzuziehen.

Die Frau wollte die Wäsche auskochen.. da gab es ja riesige Töpfe, meist waren sie blau, in den man das Wasser zum Kochen brachte.. die Töpfe faßten mehrere Liter , waren unförmig und schwer.
Auch in dem Topf kochte das Wasser , brodelte und dampfte.. und als die Frau sah, daß der Sohn sich fertig machte, wieder in den Krieg zu ziehen, verlor sie die Nerven. sie schrie: "Du gehst mir nimmer an die Front!" nahm den Topf und wollte das kochende Wasser ihrem Sohn über die Beine schütten. Doch war sie so in  Rage, der Topf war auch so schwer, daß er ihr entglitt, und das siedende Wasser sich über den ganzen Körper des Mannes ergoß-
Die Verletzungen waren so schwer, daß selbst die GESTAPO keinen verdacht hegte, es könnte sich um Sabotage, oder "Selbstverstümmelung" handeln, es kam nämlich vor, daß sich Soldaten selbst Verletzungen zufügten,  umm einem weiteren Einsatz an der Front zu entgehen.
Darauf stand übrigens die Todesstrafe.
Die Verzweiflung und die Angst der Mutter, um ihren Sohn, hatte mich damals schon ergriffen, ich war wohl neun oder zehn  Jahre alt.

Wie tief muß diese Angst einer Mutter sein, daß sie ihren Sohn lieber schwer verletzt, anstatt an der Front sterben zu lassen,.
Und es begann, mir vor dem Krieg zu grauen.

Ich hörte viele solcher Geschichten, doch diese hat sich mit besonders eingeprägt.
Und jetzt , wo man wieder vom Krieg spricht, von Rüstung und von Angriff,
von Kriegswirtschaft und Kriegstüchtigkeit, werden diese Erzählungen lebendig, wie lang vergessene  bange Träume.

Der große Krieg war damals noch spürbar in den Menschen, als ich ein Kind war  wird wieder ein großer Krieg kommen, der noch lange spürbar sein wird in den Menschen, die ihn überleben?
Werden wieder Mütter zu Verzweiflung getrieben werden?
Wird es dann überhaupt noch Menschen geben, die den Kindern Geschichten erzählen,  von einem großen Krieg, von Angst , Zerstörung, Verzweiflung und Tod?

 @Thomas Macek/ 2025
a.m.d,g