Art und Geschreibsel

von Lotta Blau & Freunden



Kopftier

Die Tage sind überschwemmt. Sie sind müde des Worttreibens. Satz für Satz, Gebrüll, schwefeliger Mundgeruch, der aus faulen Sprachhülsen austritt, in denen einzig nur noch ein Mikroskop fehlt, um das Eiter darin zu erkennen. Es kocht und brodelt in den Hälsen, aus denen es wie aus einen porösen Zahn kriecht und singt. Infektiös breitet sich dieses Gemisch über den Frühling 2021 aus. Erfasst die Menschen. Geißelt sie und beißt sich wie ein tollwütiges Tier in die Gedanken. Geiselhaft der Liebe. Anekdoten öffnen die Kleiderschränke. Ziehen sich das schöne Jackett oder den Blazer an, das kleine Schwarze. Damals war es. Weißt du noch?, flüstert die Erinnerung. Die Laufmasche unterm Minirock, der abgebrochene Absatz, der Lippenstift, der zwei Münder eine Leinwand gab und rote Vereinigung schuf.

Und dann diese Taschentücher voller Liebeskummer. Damals, so ein Wort. Damals will das Heute erinnern. Heute ist nur noch ein röchelndes Etwas, eigentlich ja tot, denn es hat kein Empfinden mehr,  das die auseinandertreibenden Synapsen mühselig zusammenhält. Und wenn es nicht anders geht und keine Besinnung einkehrt, dann zückt das Damals vom Dachboden der abgelegten Bilder seinen Trumpf und bläst den Staub vom tollwütigem Heute-Gehirn. Es gefällt ihm nicht, dem Tier, das sich dort eingenistet hat. Es will lieber fressen. Verschlingen will es das Schöne. Es sättigt sich an den guten Tagen, an den zärtlichen Nächten, an glücklichen Momenten.




Kannst du dich erinnern? Ist ja so, als wäre es gestern noch gewesen. Das Tollwuttier spielt Gott. Oder besser, es spielt eine göttliche Komödie. Denn der Mensch ist was er ist. Ob er jemals wird, was er sein könnte?  Das Tier benebelt seine Sinne.

Lotta Blau, 2021

Bild:free