Art und Geschreibsel

von Lotta Blau & Freunden

Gedankenexperiment und das Absurde

Ich weiß manchmal nicht, wie ich aus den Nächten steigen soll. Sicherlich, der Tag beginnt. Alle-Tage, Alltag. Die Sinne verweigern sich ihrer Öffnung. Sprachstürze des Absurden speien Kälte. Der Atem sagt noch zwischen den Worten. Aber es friert mich dabei. Zwischen-Leere, die immer mehr gefriert.Absurd, denn man möchte doch glauben, dass Leere nicht gefrieren kann und doch tut sie es. Eis in den Augen, Eis auf den Zungen, vereiste Pulsschläge.Victor Klemperer notierte einst all die Sprachstürze der damaligen Zeit. LTI...Es gibt darüber hinaus ein Lexikon mit den Kriegs- und Todeswörtern. Der Himmel friert sich durch die Augen. Wäre nicht dein Bild in mir, das mich wärmt. Ich seh die Sonne in deiner Dunkelheit. Hinter deinem Zweifel sucht sie sich Wege über deine Worte und zündet Glauben an Gerechtigkeit. Doch auch die wollen sie, die es selbst nicht sind. Sie schreien nach Toleranz und sind es selbst nicht. Das Leben ist absurd – oder besser, das menschliche Verhalten. Worte, die einen ekligen geschichtlichen Beigeschmack haben kleben an den Tagen. Die Nächte sind still. Durchatmen. Es gibt noch immer die kleinen Glücksmomente, noch immer doch die warmen Augen, noch immer das Friedfertige, noch immer den Tag damit zu beginnen den Stein den Berg nach oben zu rollen! Wir müssen friedenstüchtig werden! Tag für Tag das Gewissen in uns aus dem Schlaf gebären. Es ist doch nach all den letzten Jahren recht müde. Gefüttert will es werden, am liebsten mit Liebes- Nuancen. Es ruht auf der Gerechtigkeit. Sie ist die Nabelschnur zu morgen.

Ein großes Wort Gerechtigkeit. Große Worte wiegen schwer. Meistens leben sie in Koffern. Sie werden herumgetragen, bleiben verschlossen oder werden hervorgeholt, wenn das Finstere die inneren Fenster schwärzt. Schweigen gibt viele Antworten, aber nicht wenn das Gewissen schreit: Sag etwas! Aber es schweigt durch die Stunden. Doch diese pendeln weiter. Sie pendeln die Zeit zurück. Gödel kommt in den Sinn.

Ich denke an ihn. Es ist wie ein Gestirn in der Nacht. Ein Glühen zwischen all der Schwärze.Die Gedanken gehen barfuß über das Schimmern seiner Blicke. Sein Lächeln bleibt zeitlos in mir. Frei in den Tiefen und zeitlos fließt es die täglichen Bilder entlang. Ich will nicht umblättern. Ich bin dankbar, dass mich diese Tiefen, schon beinah verloren gedacht, berührt haben. Durch ihn. Ich zehre davon und will sie doch nicht aufzehren. Zu kostbar sind sie mir. Zu kostbar dieses Bildnis. Es ist diese Sprache ohne Worte, die mir durchs Herz wächst. Großer Trost. Trösten wir uns im Untröstlichen. Der Mensch weiß zu trösten, auch sich zu trösten und bleibt doch im Trostlosen, wie in einer kargen Landschaft. Ab und an blüht der Regen in ihnen und ab und an wäscht die Sonne durch die Adern.

Gestern, im U-Bahnhof, sprach mich eine ältere Dame an.Sie hatte zwei Tüten neben sich. Ihre Gehhilfen lehnte sie an den Sitzen an. Sie lächelte, schaute mich an und sagte: Man braucht ja nichts. Und zeigte auf ihren Einkauf. Sehen Sie, und griff in die eine Tüte, das ist eine Art Jeansjacke. So etwas hab ich sonst nie getragen. Nun, gab ich zurück, ab und an muss man sich auch mal was Gutes tun. Sich trösten.Sich belohnen. Genau mit diesen Gedanken bin ich auch aus dem Geschäft gegangen, meinte sie und lächelte mich erneut an. Geht ja nicht um das Maßlose, sondern um die Herausforderung das richtige Maß zu halten, dachte ich mir. Sie käme nicht mehr so oft vor die Tür. Viele Tage ginge das nicht, da sie zu krank dafür sei. Nun hätte sich sich einmal getraut und dafür wollte sie sich belohnen. Ihre blauen Perlenketten schimmerten geschmeidig um ihren Hals und passten zu ihren blauen Stoffhose. Einige Zähne fehlten ihr, aber sie war gepflegt. Mich berührte diese alte Dame. Mir gefiel ihr Trotz-dem. Ich dachte an Vera Sharav und ihr Trotz-dem. Sie gehörte zu den Kritikern der Corona-Zeit und auch sie wurde beschimpft. Das Mindeste wäre eine Entschuldigung für dieses Unrecht! Denn gerade sie, die Überlebenden, die mit ihrem Trauma all die Jahre leben mussten, sind doch noch hellhöriger, als andere. Gerade sie haben alles Recht der Welt ihre Befürchtungen, ihre Ängste, ihr Denken und ihr Fühlen mitzuteilen. Und ja, selbstverständlich auch ihre Kritik! Ich schrieb darüber. Der Text ist hier, auf der Website, zu finden! Allen, denen man Unrecht tat, bei denen sollte sich entschuldigt werden! Gibt es denn kein Schamgefühl mehr? Kein Gewissen? Keine Spiegel?

Gestern und heute schüttete der Himmel Unmengen an Regen und Hagel über die Erde. Das Wasser prallte mit ungewöhnlicher Schnelligkeit und scheinbarer Härte auf, als wären es Geschosse, als wären sie Warnungen vor einem kommenden Unheil, das alle Menschen treffen wird. Die Menschen in der Bahn führte dieses Unwetter zusammen. Plötzlich gab es einen Grund miteinander zu sprechen. Eine Dame mit Rollator beklagte sich darüber, dass sie ausgerechnet heute ihren Schirm daheim liegen ließ. Sie hatte Blumen eingekauft und gerade auf ihren Balkon welche gepflanzt. Die seien nun aber wieder kaputt durch den Hagel. Eine andere sagte, sie müsse ja noch eine halbe Stunde fahren. Mal sehen, ob es dann immer noch so hageln würde. 

Das Absurde der gesellschaftlichen Spaltung blieb einmal draußen. Das Unwetter traf alle, jenseits vom modernen schwarz-weißen Denken. Der Himmel sah seltsam aus. Nicht so, wie man es kennt. Grau oder beinah schwarz. Es war eine Zwischennuance. Als wäre alles schon spät, aber noch nicht zu spät diesen seltsamen und erneuten bösartigen Weg zu verlassen, der uns Menschen in den Abgrund führen wird. Hass, Armut, Kriege, Tod und Zerstörung. Eine andere alte Dame stellte vor zwei Jahren die Frage an mich: Meinen Sie es wird einen dritten Weltkrieg geben? Ich verneinte und zweifelte doch damals schon. Ich dachte an meine Texte, die ich vor Jahren schrieb, als es hieß, man müsse die Straßen tauglich für Panzer machen. Das war bereits 2018! Nun, wenn das kein Denkanstoß zu heute ist...heute sollen wir uns ja, laut Politik, an Kriegsgeräte auf deutschen Straßen, die auch durch Städte rollen, gewöhnen. Man spricht von der Ostflanke und Verteidigung, von Kriegstüchtigkeit und sogar wieder von Vaterlandsverrätern. Diese Worte sind keine Banalität! Sie spielen üble Filme in den Köpfen ab!

Es gibt einen Film mit dem Titel Dream Work von Peter Tscherkassky, in dem das Träumen die Hauptrolle spielt. Gehalten in schwarz-weißen Szenen. Ein Wagnis das tiefste Innere aus dem Kopf zur Leinwand zu holen. Es ist auch ein Spiel mit dem Zeitbegriff. Szenen überschneiden sich, Bilder setzen sich übereinander, verwischen sich. So auch in seinem Werk Outer Space. Da kommt der Gedanke auf, ob nicht auch die Vielschichtigkeit nur eines Momentes bewusst wird, von dem wir im täglichen Leben nur einen Bruchteil wahrnehmen können. Es heißt ja immer, alles sei im Fluss, alles sei Bewegung. Dies ist so, und doch sind gerade Filme, Fotografien, Erlebnisse, ja unser Gedächtnis eine Konservierung und können Stillstand, völliges Ruhen erzeugen. Also gilt es auch diesbezüglich zu differenzieren. In VISITATION von Suzan Pitt bemächtigen sich Kreaturen der Gedanken des Erzählers. All diese Kreaturen leben unter der Oberfläche des Bewusstseins. Sie kriechen durch uns, als kämen sie aus Dantes Höllentor, dabei sind es doch eher verlorene Traumfiguren und damit aus der eigenen Psyche geboren und gestrickt.

Man muss sich gegenseitig durch die Geschichte mitnehmen. Es ist keine Garantie, die gibt es nie, dass es  nie wieder passieren kann. Das sehen wir ja heute am immer stärker werdenden Faschismus und Nationalismus und seinem Tarnmantel, der sich immer mehr entblößt. Aber es ist auch eine rein menschliche Pflicht all diesem Leid eine Sprache zu verschaffen. Immer und immer wieder. Nichts kann einen Menschen mehr zerreißen, als das Übergehen seiner Wunden, die er zeigen will. Und nichts mehr in Angst versetzen, als die drohende Wiederholung all dieses Unrechts. Leider besteht und bestand diese Gefahr fortlaufend. 

Das Absurde im Menschen ist die Zerstörung seines Selbst und der bewusste und unbewusste Wille dieses auf Mitmenschen zu übertragen, beziehungsweise es an ihm auszuüben. So zum Beispiel Menschen verantwortlich zu machen, wofür sie keine Verantwortung haben. So hörte ich von einer Lesung über Antisemitismus in Hamburg, welche nur unter Polizeischutz gehalten werden konnte oder von Schmierereien an jüdischen Geschäften oder gar, dass man jüdische Mitmenschen mit Steinen bewarf. Geschehen in Deutschland und in Österreich. Wieder liest man auch von Angriffen auf Synagogen oder antisemitisch beschmierten Häuserwänden oder gar Grabsteinen. Die Menschheit ist mehr denn je zersplittert. Menschen auf ihre Nationalität zu reduzieren oder verantwortlich zu machen, wofür sie nichts können, das alles war schon da und nie wirklich weg. Schamlos wird dieses Denken auch noch politisch unterstützt und es bleibt zu behaupten, dass die Konsequenzen bekannt sein dürften. Bald sind Europa-Wahlen. Auf die Plakate sollte man nicht achten, sondern rückblickend auswerten, was getan oder unterlassen, was gesagt und was nicht gesagt, obwohl es hätte gesagt werden müssen.

Vielleicht hilft es sich einmal Folgendes vorzustellen: Ich gehe auf die Straße und zeige auf Sie und bezichtige Sie persönlich für alles Elend der Welt, für alle Gewalt und für alles Unrecht verantwortlich zu sein! Wie würden Sie sich fühlen? Ich rufe laut danach Sie dafür zu bestrafen und Sie auszugrenzen! Wie gefällt Ihnen dieses Gedankenexperiment? Ist das Unrecht? Natürlich ist es das! Warum also machen Sie das mit und warum schweigen Sie zu dem, was gerade wieder gesellschaftsfähig wird? Warum sagen Sie nicht: NEIN! Stopp! Da mache ich nicht mit!

Stein-Zeit II

Es gibt keinen ersten Stein
der nicht auch das eigene Herz treffen würde
der sich aus den Mündern wirft
wird die eigenen Lippen splittern
früher oder später
überrollt ein Gebirge
die Hochmut

Lotta Blau, 2021

Es ist absurd dem Menschen einen freien Willen absprechen zu wollen. Die Konsequenz daraus wäre ja unter anderem auch, dass man ihn für sein Handeln nicht bestrafen könnte. Das ist ein gefährliches Unterfangen, meinen Sie nicht? Das ganze Rechtssystem würde außer Kraft gesetzt. Natürlich gibt es auch ein Affekthandeln, das sich doch vom bewussten Handeln unterscheidet. Es unterscheidet sich vom Geplanten, vom kalkuliertem Handeln.

Das sich als herausgestellte Richtige hat größere Chancen auf Dauer zu bestehen, als das Recht. Denn das Recht ist leider - schon mehrmals und in verschiedenen Ländern - ins Unrecht gekippt worden. Natürlich darf das  nicht verallgemeinert werden. Auch das Recht hat viele Metiers. Leider sind oftmals die für einen demokratischen Staat entscheidenden Gesetze nicht ausreichend vor Manipulationen oder gar Aufhebung, bzw. für unlautere Benutzung geschützt. Da blicke ich auf die Geschichte und die besorgniserregende Gegenwart. Auch, was den Zerfall Europas betrifft. Dieses Thema hab ich bereits 2018/19 in meinen Roman Nie (wieder) Finsterland eingearbeitet.

Wir haben einen freien Willen. Es ist die Entscheidung, ob im Wort, im Handeln oder im Schweigen. Wir haben ihn, da wir zum Beispiel auch rebellieren können, wir können und müssen Entscheidungen treffen, wir können für die Zukunft planen. Oftmals müssen wir blitzschnell eine Auswahl auf noch nicht Dagewesenes treffen. Dadurch kann das Unterbewusstsein oder das Unbewusste nicht im Geringsten unser Handeln beeinflussen. Das ist der wichtige Punkt dabei! Neue Erfahrungen können erst im Nachhinein vielleicht mit alten unbewusst und bewusst verglichen werden, doch letztendlich haben wir eine Wahl für ein Handeln oder Nichthandeln und wie wir dies dann aus der neuen Situation heraus tun. Endet zum Beispiel eine Liebe, und dabei ist ja Liebe so unterschiedlich zu definieren, wie alle „großen“ Begriffe des Innenlebens eines Menschen, so bleibt doch anfangs eine gewisse  Fremde zu den Ereignissen zurück. Liebes-Arten: Zum Beispiel platonische Innigkeit bedeutet für mich eine Nähe von Geist und Menschlichkeit. Das Körperliche spielt keine Rolle. Auch dies kann in unterschiedlicher Intensität existieren. Entscheidend ist beidseitig keinerlei Ansprüche zu erheben. Keinerlei Zwänge. Derartige Verbindung ist frei von Zwängen.

Als Kind saß ich oft stundenlang über einen Anatomieatlas. Ich malte mir aus Medizin zu studieren. Heute bin ich froh, dass ich diesen Weg nicht gegangen bin. Schaue ich mir an, wo derzeit diese ganze Sparte gelandet ist, nicht nur der Lobby wegen, sondern auch moralisch und ethisch, dann schaudert es mich. Ich komme noch einmal auf den Punkt: Trauriger Höhepunkt dabei war Corona-Kritikern die medizinische Behandlung verweigern zu wollen! Medizin, die politisiert wurde und damit zutiefst unethisch agierte! So schlimm das Erstarken einer dynamischen Gesellschaft auch ist, so ekelhaft die Rechten aufsteigen, in deren Arme viele Kritiker getrieben wurden, so wichtig ist es, dass Gerechtigkeit und damit das Recht und die Gesetze für jeden Menschen zu stehen hat und es keine Rolle spielen darf, wem man zum Beispiel medizinische Versorgung zugesteht. Draußen müssen Aspekte bleiben wie: Religion, politische Standpunkte, Hautfarbe, Nationalität.

Wo bleiben die bedauernden Worte? Wo das Versprechen, dass es nie wieder geschieht? Ein weiteres Versprechen?! Wo bleibt das Verantwortungsgefühl und die Reue? Wo bleibt damit der Versuch die Menschen am rechten Rand zurückzuholen? Unterm demokratischen Teppich quillt die Schuld und es wächst das Böse, es wuchert die Leere des Zwischenmenschlichen,... es gedeiht eine furchtbare Zeit!

Kürzlich besuchte ich den Narrenturm in Wien mit vielen Ausstellungspräparaten. Manche finden das gruslig, aber als anatomisch Interessierte sieht man die Präparate aus der Logik und Nüchternheit heraus. Hingegen ich nie eine Ausstellung von Hagens besuchen würde. Dieses finde ich reißerisch und unangebracht. Einzig das Konservierungsverfahren wäre interessant.

Atem – Gärten

Die Wörter
geboren
sprechen
gelernt
die Nabelschnur aus dem Mund durchtrennt
bis zum Himmel die Zunge gewachsen
quellen Jahrtausende aus der Tiefe

das Kopfgewölbe lernt gehend
die Welt zu begreifen
versteht doch nicht
das Klingen der dünnen Saiten
im Herzen

Atem- Gärten
wir irren uns
durch die Jahre hindurch
von Wort zu Wort
nach Sehnsucht das Leben ankommend zu küssen


Über die Sprache steigen sie auf, schrieb ich einmal.

Lotta Blau/05/2024