Fremde Wiederkehr
Ich weiß nicht, wohin meine Füße wollen. Sie wollen weg und bewegen sich doch bleiern über die Stunden. Sie balancieren über die Erde, verfangen sich in kaputten Gehwegplatten, verharren wie eingerastet in ihren kaputten Mustern. Ab und an wächst Gras am Rand oder ein Löwenzahn.Sie suchen meinen Kopf, doch der ist im Exil und mein Herz fährt durch die Länder, durch die Dörfer und Städte, in denen ich schon einmal war. Das feuchte Gras an der alten Donau in Wien, die beeindruckende Innenstadt von Regensburg, das Elbufer in Dresden, die geschichtsträchtige herrliche Stadt Meißen, nach Heidelberg oder nach Hamburg an die Außenalster, das Siebengebirge oder Usedom und Rügen, ach ja...Hiddensee, um Einstein wegen, der dort war, Basin, um das Hans Werner Richter – Haus zu sehen, nach Polen und die unglaubliche Gastfreundlichkeit. Darüber hinaus könnte ich noch weiter aufzählen. Aber ich bin vielleicht aus mir selbst geworfen, eine gewisse Fremde hat mich eingeholt. Ich kannte sie schon aus Kindertagen.Ich fühlte mich eigenartig abgenabelt, als hätte man meine Nabelschnur auf Reisen geschickt. Doch sie konnte nirgends wirklich anwachsen. Nur die Natur war immer schon Geborgenheit und Freund. Vielleicht auch der Stille wegen, die mich auf mich selbst zurückwarf. Die Grasnarben und Feldränder, die Krähe auf einer Ackerscholle, die mit ihrem Ruf die Stille unterbrach, spielten sich in meinen Bauchnabel, als wollten sie sie füttern. Die Jahre vergingen, aber immer blieb jene gewisse Fremde in mir. Auch, wenn sie von anderen Dingen überlagert war.
Vom täglichen Alltagskarussell zum Beispiel, von Glück und Freude, wie vom Scheitern und Fallen. Jahr für Jahr füllte sich die mühsam errungene Leere sogleich mit Pflichten und Tätigkeitstaumel. Ich habe mir oft gewünscht irgendwo am Rand zu leben, und doch immer auch den Bezug zum Zeittreiben nicht zu verlieren. Also sich immer zurückziehen zu können, wann nötig und doch sogleich wieder die Chance zu haben, dem Puls des Lebens an all das anzupassen, was man sonst so Leben nennt. Cafés, Kunst und Kultur, Freunde natürlich und natürlich auch die Arbeit, die den Takt im Puls des Trotts ja vorgab. Heute lebe ich genau so. Ich wohne am Rand und bin doch nicht abgeschnitten. Ich bin hier glücklich, in diesem Haus.
Und doch fühle ich wie der Boden unter meinen Füßen immer mehr aufreißt, sich wölbt, die Straßen entlang auseinander wächst, sich Gräben und Schluchten formen. Abgründe zwischen Menschen, aus denen ein Vulkan zu brodeln beginnt, der droht zu explodieren. Ein Land um das andere versinkt in seinem eigenen Schlund. Mir ist ihre Gewaltsprache fremd, und es ist eine andere Leere, als die gute und heilende. Diese Leere, die sich zwischen den Menschen entblößt, die nährt sich vom Unheil - Samen. Schwarz, wie kochendes Pech, das übel riecht, klebt zwischen den Menschen, die nicht mehr aufeinander zugehen können. Lauter Fremde entsteht. Lautes entsteht, und bläst einen Schrei durch die Psychen. Verklebt die Augen und die Ohren. Die Münder sprechen viel Finsteres. Sie sprechen nach der vorgegeben und gewünschten Musik.Wenn sie das nicht tun, dann droht ihnen die Kreuzigung ihrer Zungen, damit sie sprachlos werden.
Was wir säen, werden wir essen. Wir werden das Unverdauliche herunter würgen müssen. Wir werden krank davon sein. Die Felder, die gesät, sind zwischenmenschliche Schlachtfelder und wir sind die Krieger, die mit Kälte und gefrorenen Wörtern den vermeintlichen Feind treffen. Es werden immer die auf die Schlachtfelder geschickt, die man opfert und niemals jene, die zu Kriegen anstiften. Die Geopferten sind für sie Material, das sie benötigen, um ihre Macht zu sichern, zu erhalten, noch mächtiger werden zu lassen.
Die Tage und Nächte frieren. Sie zittern, wie das Laub am Baum im Wind. Wir sehen uns nicht mehr. Wir kennen uns nicht mehr. Blinde sind wir geworden. Gestern noch kannten wir die Wunden im anderen, kannten den Schmerz und auch die Liebe und Freude. Heute wirft man Steine auf sie und ehrt die falschen Götter und Propheten. Zwischenmenschliche Kriegsgötter säen Not und Elend. Gerade war noch Liebe in den Familien, unter den Kindern, nun ist es Fremde. Kinder lernen wieder zu hassen. Der Freund von gestern, ist heute Feind und die Kinderherzen bröckeln und brechen zusammen unter all der auferlegten Last des Gehorsams. Land der Dichter und Denker, mühsam war dein Weg. Jetzt ist der Weg Leid und das Denken eingesperrt. Die Kinder lernen Fremde, sie lernen, dass der Andere ausgegrenzt wird, wenn er nicht so ist oder denkt, wie angeordnet. Gott wird verkannt, Liebe wird verkannt, Leben wird verbannt, Mahn - Sprache wird verbrannt und ausgelöscht.
Die Natur ist mein Gott, denn in ihr wohnt das Leben aber auch der Tod. Die Liebe soll schuldig sein. Die Nähe, soll nun töten.
Ich fühle mich fremd, wie ein Kind, das ich einmal war und allein durch die Zeit spazierte. Und dann sehe ich dich...
Bild und Text Lotta Blau, Okt.2021