Die wundersame Sonnenblume
Einst fand sie als junges Mädchen auf dem Weg nach Hause ein Samenkorn. Es hatte einen winzigen Trieb...und es schälte sich zwischen der schwarzbraunen Hülle ein kleines blassgrünes Leben hinaus. Zart und zerbrechlich und doch nach Leben suchend, ja sogar ringend...denn dieses Samenkorn wurde einst verloren - auf dem Weg-war durstig und verzweifelt.
Weit und breit keine Erde, in die es seinen Trieb verwurzeln könnte - nur Stein und Geröll.
So lag es da und wusste nicht, wie es dazu käme zu leben und rechnete schon damit zu sterben.
Als eines Tages, sie vorbei kam...und ihr ganzes Wesen ein Licht ausstrahlte, tief aus ihrem Herzen hinaus. Voller Liebe ging sie des Weges, immer nach den Seiten schauend und ab und an sogar in die Luft- zu den Vögeln und Wolken und den Baumkronen. Dann blieb sie stehen und sah ihnen zu. Auch nach unten blickte sie, damit sie ja nicht auf irgendein Leben treten würde. Behutsam und bedacht ging sie ihres Weges. Jedes Lebewesen spürte das große Herz und die weite, liebe Seele dieses Mädchens und sie zeigten ihre Freude darüber - mit Vogelgesang, mit leichtem Windstreicheln, mit Blätterrascheln und Bienensummen und so weiter. Völlig losgelöst und unbeschwert schien die Welt. Als sie wieder einen Schritt tat, nach unten blickte und das Samenkorn entdeckte. Sie hob es auf.
Du armes Ding...wie bist du denn hierher gekommen - auf diesen steinigen Boden? Wie ich sehe, suchst du bereits nach Licht für deine Blüte und Boden für deine Wurzel. Letzteres wirst du hier nicht finden und darum auch nicht austreiben. Komm, sagte sie...ich nehme dich mit und setz dich an einem Feldrand aus - dort kannst du wachsen und gedeihen.
Da sagte das Samenkorn: Warte...bitte nimm mich mit zu dir. Pflanze mich ein und sorge für mich. Am Feldrand wird man mich abrupfen, knicken oder mähen - zusammen mit den vielen anderen Pflanzen. Ich werde dort zu einsam sein - so allein meines Gleichen. Nimm mich bitte mit- es wird nicht zu deinem Schlechten sein...
Das Mädchen wunderte sich sehr...sah sie doch oftmals Sonnenblumen am Feldrand stehen, denen es eigentlich ganz gut zu gehen schien. Doch war sie auch neugierig...denn wie konnte es denn sein, dass eine Blume sprechen konnte? Und was verbarg sie wohl sonst noch so? Was für Geheimnisse hatte sie wohl noch?
Also nahm sie das Korn und pflanze es in ein Gefäß. Die Sonnenblume wuchs heran und blühte in ihrer leuchtenden Farbe, füllte ihre Blüte mit Samenkörnern zum Herbst hin und schenkte so den Vögeln reichlich Futter.
Das Mädchen dachte zum späten Herbst hin - nun würde die Sonnenblume sicherlich bald welk und sterben - doch zu ihrem Wunder geschah dies nicht, sondern die blieb golden und mit satten grünen Blättern, blieb auch nachdem alle Körner gefressen waren- als wäre nichts geschehen.
Aber alle Sonnenblumen, die ich kenne, verblühen und verwelken - leben ein paar Monate und sterben dann - erneuern sich mit ihren Samenkörnern selbst- du aber bist und bleibst - veränderst dich nicht, sagte das Mädchen zur Blume. Und wie ein Zauber füllst du deine Blüte immer wieder neu, wenn die Vögel sie leer gefressen haben. Wie geht das und warum? Ungläubig schaute das Mädchen auf die Blume...
Ja...ich wusste - du würdest staunen, sagte die Blume. Du hast mir einst das Leben gerettet und nun bin ich deine Blume...für immer. Manchmal brauch ich nur etwas Wasser oder den Regen und ansonsten kannst du dich nun dein ganzes Leben an mir erfreuen. Ich werde jeden Tag für dich strahlen und leuchten und für die Vögel sorgen. Doch am meisten freue ich mich darüber, dass ich dir weiterhin dein Herz erfreue - du mich weiter jeden Tag ansehen kannst und dich freust.
Das Mädchen wurde älter und irgendwann nach so einigen Jahren - mittlerweile war sie eine alte Frau - da blieb sie ganz allein zurück. Niemand aus ihrem Leben war noch da, denn sie alle waren schon vor ihr gegangen. Leider hatte sie nie Kinder bekommen, denn alle hielten sie mehr oder weniger für ein bisschen schrullig und anders. Denn natürlich sprach sich die Geschichte mit der Sonnenblume auch herum, dass sie mit ihr sprach, die nie welkte und allerlei komische Geschichten dachten sich die Menschen über sie aus. Es ging sogar so weit, dass manche sie für verrückt erklärten und sie auslachten.
Die alte Frau jedoch störte das nie...denn sie wusste ja tief in ihrem Herzen, was es wirklich wert war und wem es lohnte sein Herz zu schenken. Sicherlich gab es da schon den einen, den sie liebte - aber auch er sagte: Entweder die Blume, oder ich! Das war egoistisch und herzlos.
Und da die Frau ihre Sonnenblume liebte, schickte sie ihn davon. Es wäre ja beides gegangen - doch er wollte sie für sich allein- ohne Blume.
So kam es, dass sie immer älter wurde und langsam aber sicher auch bald ans Sterben dachte und ihre Blume frisch und herrlich blieb. Die Sonnenblume freilich tröstete sie immer...gab der nun alten Frau alles, was sie geben konnte - Liebe, Licht und viele, viele Gespräche über Gott und die Welt. Auch las die alte Frau ihr immer etwas vor- von fernen Ländern und wundersamen Geschehen aus aller Welt.
Das ganze Jahr über kamen weiter viele Vögel - nein, allein war die alte Frau nie und einsam auch nicht.
Eines Tages dann, da konnte sie nicht mehr aufstehen und blieb im Bett. Konnte nicht zur Sonnenblume gehen.
Da hörte sie die Blume rufen: Mach dir keine Sorgen...ich singe nun und du kannst mir lauschen...
Die Sonnenblume begann zu singen, so lieb und wundersam, dass alle Tiere des Umkreises kamen und sich um die Blume setzten um zu lauschen. Manchem rollte eine Träne über das Fell und zu Boden.
Dann hörte sie auf und sagte: Hört bitte! Meiner Freundin geht es schlecht, sie ist alt und wird nun bald gehen müssen. Wenn sie gegangen ist, dann werde auch ich mich zur Ruhe begeben. Denn nur für sie blieb ich erhalten.
Bitte tragt meine Samen ein letztes Mal hinaus in die Welt und verbreitet meine Liebe und Freude...
All meine Samen sind mit meiner und mit dem Glück und der Weisheit der alten Frau gefüllt. Jede neue Blume, die daraus erwächst wird alles Elend in der Welt lindern und manches sogar besiegen können - denn die Herzen werden mit Licht gefüllt. Das ist meine Bestimmung und der Nachlass meiner lieben Freundin. Dafür haben wir gelebt und bewiesen, wie gut die Welt sein kann, wenn sie es darf. Nun geht und fliegt...tragt Liebe und Frieden in die Welt hinaus...verteilt mich auf der Erde.
So geschah es...überall auf der Welt blühten auf einmal Sonnenblumen- egal ob es gerade Winter war oder Sommer- ob am Meer oder am Feld, ob im Dorf oder in der Stadt- überall leuchtete es und verteilte wundersamen Zauber. Die Menschen wunderten sich und es brachte sie wieder näher. Jeder erzählte dem anderen, wie er doch so lange nicht mehr sein Herz so weich und warm gespürt hatte, als jetzt, da er in das Gesicht einer solchen Sonnenblume gesehen hatte. Waffen wurden fallen gelassen und es umarmten sich einstige Feinde. Tieren und den Bäumen wurde Frieden und Lebensrecht geschenkt...Ja, so war das Leben gemeint - schon immer...lebendig und liebend, weise und klug, mitfühlend und miteinander...
Da wurde das Leben ein einzig Fest- im Märchen. Manchmal bedarf es eben dazu nur ein einziges Samenkorn...
Lotta Blau
Bild:free