Die Geschichte einer Freundschaft
Als Kinder spielten sie zusammen. Es war das Normalste der Welt. Sie wurden älter, die Welt veränderte sich, ihre Ansichten auch. Sie diskutierten manchmal heftig, sogar bis zum Streit, doch am nächsten Tag war alles wieder gut. Mit den Jahren ging jeder seines Weges. Der eine studierte Jura, der andere Medizin. Dann kam der erste Krieg. Er trennte ihr Land und zerschnitt Freundschaften, brachte befremdliche Gefühle und leider auch Hass unter die Menschen. Es wurde eine neue Grenze gezogen. Nun war der eine auf der einen Seite und der andere auf der anderen. Noch konnten sie sich sehen und miteinander sprechen, doch es wurde immer schwieriger. Die Leute begannen über diese Freundschaft zu reden. Mit dem Feind befreundet zu sein, das dürfe nicht sein. Die Beiden aber störten sich nicht daran. Auch nicht daran, was die eine Seite von der anderen Böses erzählte. Immer gehässiger, immer schlimmere Geschichten wurden beidseitig dem anderen vorgeworfen. Wobei die Freunde ja auch beide Seiten kannten und wussten, dass die Schauergeschichten nicht stimmten. Dennoch waren sie machtlos und wenn sie den anderen in Schutz nahmen, wurden sie beschimpft. Doch die Beiden ließen sich von ihrer Freundschaft nicht abbringen.
Dann kam der Tag, als sich die eine Seite Waffen besorgte. Sie wurden wahllos an jeden verteilt. Gleich ob alt oder jung. Die Menschen sind durch all die immer weiter getriebenen Lügen beidseitig wütend geworden. Sie glaubten sich verteidigen zu müssen, andere wollten direkt in einen weiteren Krieg ziehen, in dem sie ja längst waren. Gegen diese Barbaren, sagten sie. Der anderen Seite blieben natürlich all diese Dinge nicht verborgen. Sie zogen nach, verteilten Waffen und riefen zum Kampf auf. Gegen diese Barbaren.
Den beiden Freunden verbot man ihre Treffen unter Androhung sie zu bestrafen. Doch sie trafen sich heimlich weiter. Eines Tages brachten sie beide ihre Freundinnen mit. Sie hatten ihnen längst alles erzählt. So ging das einige Zeit. Dann wurde erst der eine Vater, dann der andere. Ein Mädchen und ein Junge. Die Treffen wurden weniger, denn nun waren Kinder da, die man nicht in Gefahr bringen wollte. Die Jahre vergingen, der Hass leider nicht. Im Gegenteil. Beide Seiten hatten in der Zwischenzeit weiter aufgerüstet. Die Medien taten ihr Übriges dazu und auf beiden Seiten wurde gegen den anderen weiter gehetzt. Lügen wurden verbreitet und benutzt. Die Schuld gab man sich ebenfalls gegenseitig. Es wurde immer unerträglicher.
Eines Tages riefen beide Seiten einen weiteren Krieg aus. Sie stationierten entlang der Grenze Soldaten. Dann kam der Befehl die jeweils andere Seite zu vernichten. Die Schlacht hatte begonnen. Alle Männer, manche beinah noch Kinder, wurden eingezogen und mussten mit der Waffe in der Hand gegen den vermeintlichen Feind kämpfen. Auch die zwei Freunde waren darunter und es kam, wie es kommen musste: Sie standen sich an der Grenze gegenüber. Beide hatten den Schießbefehl.
Sie konnten es nicht. Sie sahen sich in die Augen und ließen die Gewehre fallen und fielen sich in die Arme. Der eine weinte auf die Schulter des anderen. Dann gab es zwei Schüsse. Die zwei Freunde wurden tödlich getroffen und sich noch im Arm haltend fielen sie so auf den Boden. Die anderen Soldaten rannten beidseitig brüllend an ihnen vorbei und mordeten sich gegenseitig. Es traf auch Frauen, Kinder und Alte. Als sie fertig waren waren auf beiden Seiten kaum noch Menschen übrig. Alle tot. Die beiden Länder erholten sich nie wieder von diesen schrecklichen Kriegen. Vieles, wo einst das bunte Leben tobte, zerfiel. Die Übriggebliebenen hungerten und froren. Der einstig fruchtbare Boden war nun voller Gräber der Ermordeten und Gefallenen.
Die Kinder der beiden Freunde aber hatten wie durch ein Wunder die Kriege überlebt. Sie verliebten sich ineinander und wurden ein Paar. Sie reisten durch die Welt und erzählten die Geschichte ihrer Väter. Auch ein Buch schrieben sie und eines Tages lud sie die eine Seite ein, dann die andere. Die zwei Freunde kannte beinah jeder Überlebende. Sie erinnerten sich an sie und verstanden nicht, wie es so weit kommen konnte, dass sie blind und gehorsam in die Kriege gezogen waren. Sie schämten sich und bedauerten. Sie weinten und wurden zornig gegen jene, die zum Hass beidseitig beigetragen hatten. Sie erkannten, dass dieses Morden nur jenen genutzt hatte, die die Kriege ausgerufen hatten, die nicht erst mit der Waffe in der Hand begonnen hatten, sondern zwischenmenschlich schon jahrelang. Nie wieder schworen sie sich!
unteres Bild und Text Lotta Blau, 03/22
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