Art und Geschreibsel
von Lotta Blau & Freunden

Der Sturm

Es war einmal ein kleines Dorf. Die Menschen lebten friedlich miteinander, halfen sich mit Allerlei gegenseitig und niemand sprach über andere ein böses Wort. Eines Tages jedoch kündigte sich ein großer Sturm an. Die Menschen sollen auf sich acht geben und in ihren Häusern bleiben. Solch einen Sturm gab es zuletzt vor einigen Jahrzehnten. Manche Alte erinnerten sich daran und es gefror ihnen das Blut in den Adern, denn damals hatte dieser Sturm das Leben, ja die Welt, verändert.

Der Tag des Sturmes näherte sich. Die Alten fürchteten sich, wurden unruhig, das furchtbare Gefühl von damals kroch in ihnen hoch und die Jüngeren warteten und verhielten sich ruhig. Sie taten, was man ihnen sagte.
Der Sturm verwandelte das Dorf in eine Eiswelt. Nicht nur die Häuser, sondern alles gefror nach und nach zu Eis. Die Bäume, die Tiere und auch die Menschen vereisten innerlich immer mehr. Das Leben verschwand. Die einstige Freundlichkeit untereinander bedeckte nun ebenso eine Eisschicht, wie das Miteinander, selbst die Liebe erlosch immer mehr und verlor ihre Wärme, ihr Feuer und ihre Macht. Der Frieden untereinander litt immer mehr. Es dauerte nicht lange, da kam es zum ersten Streit. Gegenseitig warfen sie sich vor, nicht genug für das Dorfleben getan zu haben. Böse aufeinander trennten sich zwei einstige, seit vielen Jahren unzertrennliche, Freundinnen. Eines Abends gerieten vier Männer aneinander. Der Grund des Streitens war eigentlich keiner, aber dies merkten sie nicht, sondern jeder beharrte darauf, recht zu haben. Es kam zur Prügelei, dann zu Drohungen und schließlich hatte jeder vor jedem Angst und wollte sich schützen. Jeder der Dorfbewohner, ob Mann oder Frau, ging fortan dem anderen aus dem Weg.

Es war, als hätte der Sturm alles Böse und Finstere über das Dorf gebracht. So, wie damals, als es beinah dazu gekommen wäre, dass sich die Bewohner gegenseitig umgebracht hätten. Nur eine Alte, die Dorf-Weise genannt, konnte dies in letzter Sekunde noch verhindern. Sie lebte etwas abseits in einer Hütte und kam nur noch selten vor die Türe. Mit der Zeit jedoch drang auch zu ihr das Übel im Dorf. Die Schreie der Streitereien, die Vorwürfe und die schlimmen Worte. Sie schickte ihren Hund mit einer Nachricht um den Hals zum Wirt im Dorfkrug. Der ließ alle versammeln und las ihnen die Botschaft der Alten vor. Sie bestellte alle einzeln zu sich und hielt ihnen einen Spiegel hin. Schau hinein, sagte sie, was siehst du?

Die Menschen sahen sich an, sahen ihren eisigen Blick, sahen wie sie erstarrt waren, als wäre kein Blut mehr durch sie geflossen, ihre Lippen waren schneeweiß. In ihrer Wut und in ihrem Hass hatten sie sich nicht mehr darum gekümmert, wie sie auf andere wirkten. Es war ihnen egal. Aber vor der Alten hatten sie noch Respekt und taten, was sie sagte. So erschraken sie vor sich selbst, wie scheußlich sie all dieser Hass gemacht hatte. Manche rannten hinaus, andere begannen zu weinen und zu bedauern und beteuerten Reue und Umkehr. Es gab aber auch jene, deren Herz und Seele schon zu gefroren war. Diese waren es nun auch, die die ersten waren, die Streit begannen. So hatte das Schlimme in ihnen überdauert und jetzt lebten sie es erneut aus.

Die Alte gab es jetzt nicht mehr. Diesmal konnte sie all die aus den Streitereien hervorgegangen schlimmen Dinge nicht mehr verhindern. So kam es dazu, dass sich einer zum Obersten über all die anderen erhob, sich selbst zum Anführer ernannte und begann jene zu bestrafen, die sich seinen Anordnungen nicht fügen wollten. Selbst was jemand sagte wurde fortan überwacht. Wenn jemand ein schlechtes Wort über den Anführer verlor, so wurde er verhaftet und eingesperrt. Die Menschen bekamen vorgeschrieben, was sie zu denken, zu fühlen und zu tun, ja selbst, wie sie sich zu kleiden hatten.

Doch unter den wenigen noch verbliebenen Dorfbewohner, die nicht eingesperrt waren, rumorte es. Als ihre Liebsten verhaftet wurden, löste sich das Eis in ihrem Herzen und sie fanden zu sich zurück. Sie bildeten eine Widerstandsgruppe. Wenn auch nur aus wenigen Mitgliedern bestehend, so gelang es ihnen einen Plan auszuarbeiten den Tyrannen zu stürzen.

An einem Sonntag, der Anführer aß dann gern mit seinen engsten Vertrauten zu Mittag im Dorfkrug, stürmten sie das Lokal, umzingelten sie und entmachteten ihn. Er hatte sich noch beim Eintreten seiner Sicherheit und Gefolgschaft lauthals gerühmt. In seiner typisch aufdringlichen und heroischen Stimme brüllte er durch das Lokal: Niemand kann mir das Wasser reichen, nur das Bier. Los Wirt! Morgen wird mir das nächste Dorf gehören und übermorgen die Stadt, dann das Land und dann die Welt! Keine Feinde? Die werden sich schon finden! Um einen Krieg beginnen zu können finden sich immer Gründe! Und finden sich keine, erfindet man eben welche!
So siegte am Ende doch noch die Liebe, die, so schien es, längst erloschen und vereist war. So bewahrte sie sich doch noch als einen Funken irgendwo tief im Menschen auf, um wieder zu erhellen und zu heilen. 

Das Licht also siegte ein weiteres Mal über die Finsternis. Doch es wird wohl ein ewiger Kampf zwischen Liebe und Hass, zwischen Finsternis und Licht, zwischen Krieg und Frieden bleiben. Denn immer wieder werden schlimme Stürme kommen und das Unmenschliche sichtbar machen, ja des Menschen dunkle und bösartige Seiten mit Macht zu füllen suchen. Immer wieder werden sich einige über andere erheben und die in ihren Augen Unpassenden und Schwachen versuchen niederzutreten.

Aber immer wieder wird Licht die Finsternis besiegen, denn Licht und Liebe kann man weder einsperren, noch endlos vernichten. Sie streben immer nach der wahren Freiheit und nach Frieden. Das sei allen mitgegeben.

Bild und Text Lotta Blau/2025