Art und Geschreibsel

von Lotta Blau & Freunden

Der Clown

Du musst doch nun einmal aufhören zu lachen! Du musst doch nun endlich einmal weinen! Ja, was sollen wir dir denn noch nehmen, damit wir dich traurig, am Besten verzweifelt, sehen? Hör auf zu lachen und Faxen zu machen! Hör auf damit, sonst wird es böse enden mit dir! Hörst du?

Der Clown aber weinte längst hinter seiner Maske, seinem weiß geschminktem Gesicht, seinem roten, vollen Lippen. Seine Augen lächelten, obwohl sie längst müde waren, das zu tun. Aber er konnte nicht anders, genau so, wie er nicht sprechen konnte. Kein Wort sagte er und doch redete er ununterbrochen. Stumm und doch wieder nicht, denn in ihm sprach eine ganze Welt. Er konnte sie aber nicht aussprechen, sie nicht aus sich entlassen. Ihr keine Freiheit schenken, weil es sie draußen nicht gab. Was hätte es gebracht dem Dieb, der auf der anderen Straßenseite mit der Handtasche wegrannte, hinterher zu schreien? Was sollte es bringen, all das Unrecht anzuklagen, was tagtäglich geschah. Er sah ja so viel und immer, wenn er meinte, jetzt...jetzt muss ich aber was sagen, da versagte ihm die Stimme. Stattdessen lächelte er und führte sein tägliches Programm auf der Heinrich-Heine-Allee in Düsseldorf weiter aus. Bettler gingen an ihm vorüber. Sie grüßten ihn, er lächelte. Ein weißes, hölzernes Lächeln und ein Lied klang auf: Denk ich an Deutschland in der Nacht... Ein Maskenlächeln.

Kinder stellten sich zu ihm. Große, staunende Augen. Sie lächelten, sie freuten sich, klatschen in die Hände, applaudierten. Riefen: Hurra! Papa, guck mal...ich will auch so was haben. So ein Kostüm. Ich will Clown sein. Der Vater aber dachte sich: Sieh mich an Kind. Was bin ich wohl? Und was war ich einmal? Und dann lächelte er und sagte nichts mehr, der Vater. Es ist vielleicht als Clown alles besser zu ertragen, dachte er sich. So wurden immer mehr Menschen zum Clown. In sich wurden sie trauriger und trauriger und nach außen hin, lächelten sie. Aber es war ja nicht nur das, sondern sie verkümmerten innerlich. Und bald schon sollte sogar das Lachen verboten werden. Lachen störte die ernsten Pläne.

Jeden Tag aber kamen auch zwei Staatsbedienstete vorbei. Sie hatten eine Wette abgeschlossen. Der Clown müsse unbedingt einmal zum Weinen gebracht werden. Ehrlicherweise störte sie ein Lachen, sogar ein Lächeln fanden sie anmaßend. Es hatte nichts zum Lachen zu geben! Die Lage war ernst. Möglicherweise steht ein Krieg vor der Tür. Niemand dürfe das lustig finden, sich einfach hinstellen und grinsen. Zudem passte es einfach nicht ins Konzept. Lachen kann ansteckend sein. Lächeln könnte die Menschen besänftigen, sie abbringen von den Plänen. Dabei braucht man doch Soldaten, brauchte Gehorsam und bedingungslosen Glauben an die Regierung. Niemand muss denken...die Regierung macht das schon. Und wozu sind Freunde denn da, wenn nicht für schönste Konzernträume und wie man sie umsetzen könnte. Der Ernst des Lebens...Habt ihr denn gedacht, den hättet ihr schon erlebt? Oh, nein...der kommt noch! Hinter tausend Gitterstäben wird man sich die Füße wund laufen.

Die zwei Bedienstete kannten den Clown recht gut. Sie wussten alles über ihn, denn man nahm ihm nach und nach alles. Zuerst die Gesundheit, dann den Job, dann das Haus, dann sogar die bunten Knöpfe am Kostüm. Man riss sie einfach ab. Der Clown hätte schreien, toben, schimpfen müssen...doch er lächelte die beiden Beamten nur an. Das machte sie nur noch wütender und eben darum dachten sie sich die Wette aus. Jeden Tag trafen sie sich. Sie überlegten, wie sie es anstellen könnten ihn zum Weinen zu bringen. Sie zogen ihm sogar einmal die Hose runter. Aber es gelang ihnen einfach nicht auch nur eine Träne zu sehen. Sie konnten ja nicht wissen, das er längst stumm weinte.

Das zum Glück, das konnten sie nicht wissen. Sie sahen nur weiter sein Lachen und ärgerten sich. Es war ja auch nichts mehr da, was sie ihm nehmen könnten.

Und der Clown, er lachte.

Lotta Blau, OKT. 2021