Bilder dieser Zeit
Das Paar auf der Bank vor mir
Da sassen sie nun. Obwohl zu zweit, doch jeder für sich und der eine genauso allein, wie der andere. Sie schauten sich wortlos von der Seite an. Einmal der eine und dann der andere. Es lagen ihnen viele Worte auf den Zungen, aber kein einziges sprachen sie aus. So blieb ein großes Schweigen und die Zeit hatte schwere Gewichte an ihre Zeiger gebunden. Zwischen ihnen hatte sich eine unsichtbare Wand gebildet. Diese kam nicht plötzlich, sondern war zunächst dünn, wie das Innere einer Seifenblase, dann wie Glas und mit den Jahren wuchs eine Mauer zwischen ihnen. Aus dem vielen Unausgesprochenen der Jahre nährte sie ihre Ziegel und stapelten einen nach dem anderen oben auf. Bald würde sie unüberwindbar.
Das Jahr 2020 stellte sich als ein unerhörtes und überhörtes heraus.
Der Himmel platzte auf und verschlang mit einem wirren Regenguss die Dächer der Stadt Düsseldorf. Das Paar blieb zunächst sitzen, wie ich auch. Der Regen war warm und schmeichelnd auf der Haut. Es ließ sich aushalten.
Die Fenster der umliegenden Gebäude fühlten sich an, wie eine dünne Haut zwischen dem Wasser und dem Gemisch aus Staub, der an ihnen hängen blieb. Der Sommer hatte zwei Tage lang eine Reinigung erfahren und blieb doch seltsam anders. In der Luft hing etwas Unnahbares, so wie von jetzt auf gleich alle Gesichter unnahbar wurden. Von heute auf morgen verhüllten Angst und Unsicherheit den Austausch der Blicke. Auch die Sprache veränderte sich. Unter den Masken, die über der Mimik hingen, wurde nunmehr weniger gesprochen. Auch klangen die Worte verwaschen. Gerade so, als traue man sich nicht laut und deutlich zu sprechen.
Es war, als läge ein angstvolles Schweigen wie Schwefel in der Luft. Ein Geruch, der sich über alles zog, wie ein zähes Etwas. Niemand konnte dem entfliehen. Tag für Tag hüllte etwas Bedrohendes die Stunden ein. Es wuchs sich in die sorgenvollen Blicke in das tägliche morgendliche Aufstehen. Was würde wohl heute wieder anders sein? Das gewohnte Leben warf sich aus seinen eingefahrenen Schalen. Die Gewohnheiten, die Rituale, das Eingefahrene, es preschte aus seinen Bahnen und verunglückte im zweifelhaften Versuch wieder dahin zugelangen, wo es einmal war. Haltlos pendelten die Menschen durch ihren Alltag. Angst quälte Hoffnung, Liebe und Leichtigkeit.
Das Paar spiegelte in ihrem privaten Weh das große Leid wider. Als wären sie hingesetzte Figuren eines Theaterstückes, welches die gesellschaftliche Situation spielte. Komm mir nicht mehr zu nahe, bleib besser weg, sag nichts, schweig.
Die Jahre vergehen. Immer liegt in Anfängen eine gewisse Hoffnung, ein Vertrauen, eine Art Glück von tausend Arten. Und im jedem Ende die Ernüchterung darüber. Zeitasche, die sich über das Verlorene streut, um irgendwo irgendwelche Neubeginne zu düngen.
Das Zeitgefühl hat wohl alle Eigenschaften von Situationen. In den Momenten, aber auch lang- wie kurzfristig gesehen. Gerade besucht die Ewigkeit die Tage und fragt sich, wie lange sie wohl bleiben darf...In diesem maroden Zwischenspiel, das menschliche Seelen jongliert.
Lotta Blau, 2020
Bild:free