Hörst du sie rufen? Die Uhren rufen die Vergangenheit zu den Ohren. Die Menschen sind heute anders. Sie reden anders, sie träumen anders, sie hören anders und sie fluchen anders. Gestern planten sie noch große Reisen. Malten sich aus, wie es wäre, wenn sie Geld und Zeit dazu hätten. Träumten von warmen Stränden oder einer einsamen Hütte in den Bergen. Sie hörten das Schaukeln der Schiffe in den Häfen, die Töne der Wellen gegen das Holz der Stege am See oder freuten sich über einen verschneiten Wald. Sie kauften das siebte Leinentuch im Laden nebenan oder blieben vor einem Spielzeugladen stehen und Bilder aus der Kindheit krochen durch ihr Herz. Sie sehen sich als kleine Kinder im Spiegel des Geschäftes. Weißt du noch, wie es damals war? Was du geträumt hast, gefühlt, welche Liebe und welchen Schmerz? Wie du dich noch freuen konntest, fragen sie sich.
Da stehen sie nun, die Menschen von heute. Sie stehen den vergangenen Jahren gegenüber. Blicken in die Auslagen. Zwischen ihnen ist eine Wand aus Glas. Sie beginnen zu vermissen. Das Unbeschwerte, das Zeitlose, den Vater oder die Mutter, den Freund oder die beste Freundin, die Großmutter oder den Großvater, den Bruder oder die Schwester, den Hund oder die Katze. Irgendwas aus ihrer Kindheit. Dann seufzen sie. Es kommt meistens anders, als erträumt. Damals wollten sie noch dies und das werden. Hatten diese und jene Gründe dafür. Geld verdienen oder eine romantische Vorstellung von ihren Traumberuf. Eben, Traum. Darum sind es ja Träume, weil sie nicht real sind. Nicht gänzlich zumindest. Sie hatten sich Frieden und Harmonie gewünscht und das Gefühl irgendwo daheim zu sein.
Während sie vorm Schaufenster stehen und durch das Glas auf ihre Kindheit blicken, fährt hinter ihnen die Straßenbahn, fahren die Autos über das Kopfsteinpflaster, gehen Menschen vorbei, tickt die Uhr weiter. Nur für die, die jetzt in ihr Kind blicken, bleibt sie gerade stehen. An jenem Punkt, der sie am meisten berührt hat. Gut oder schlecht. Wehmut oder Trauer.
Nach einigen Minuten kommen ihre Gedanken wieder ins das Heute. Sie hören den Lärm, die Gespräche, schauen auf die Uhr und entfernen sich von den Bildern ihrer Kindheit. Manche von ihnen kehren zum Fluchen über all das Schlechte in das Heute zurück, andere zum Hass, der sich jetzt wieder über ihr gerade noch friedliches Kind setzt, es verdrängt und ersticken will. Der Harmonie wurde seit ein paar Jahren ein zwischenmenschliches Schwert umgehangen und dem Frieden ein eisernes Korsett, das Jahr um Jahr enger geschnürt wird. Gefüttert wird der Frieden mit einer Sprache, die ihn innerlich vergiftet. Kriegstüchtig, Kriegsmentalität, gediegen patriotisch, Friedensromantiker, Pazifismus sei unmodern, seid und werdet kriegslüstern - buchstabiert es über die Denkmäler und Gräber. Irgendwann wird das Korsett dem Frieden die Luft nehmen. Krepieren soll er, Hoch den Kriegskrediten, Hurra dem Sieg! Es scheint Verteidigung ist heute Kriegsvorbereitung! Richtet die Raketen aus! Modernisiert euren romantischen Glauben an Frieden!
Durch die Medien wachsen sich Zeigefinger. Die da sind schuldig! Die da! DIE DA! Das Volk empfängt diese tägliche Sprachbeleidigungen! Jeden Tag wird das kommende Feuer geschürt, wird in die aufkommenden Flamme gehalten.
Kennen Sie den Wurm, der sich selbst auffrisst? Wenn die Lebensumstände für ihn nicht mehr passen, dann frisst er sich bis auf das Nervensystem selbst auf. Sobald sich die Voraussetzungen wieder bessern, beginnt er sich zu regenerieren und beginnt sein weiteres Leben im Kindesalter, sozusagen.
Das ist wie mit dem Hass, der immer wieder aufersteht, sobald ihm vermeintlich Schuldige zum Fraß vorgesetzt werden. Nur eines wird dabei immer wieder vergessen, dass auch der Friedenswunsch unsterblich bleiben wird! Ganz egal, wie versucht wird, ihn zu ersticken. Das gefällt den Herren und Damen an den weißen Tischdecken und den Häppchen natürlich nicht. Wie das künstliche Licht über den Salaten in der Gemüsetheke, das es besonders saftig und frisch aussehen lassen soll, setzt man über die Sprache eine Lichtpropaganda, die den schönen Schein erzeugen soll. Geblendet und verstört, ja zerstört der eigentliche Wert der Kommunikation. Immer und immer wiederholend, wie Musik, die trotzdem sie schlecht ist, irgendwann doch im Gedächtnis bleibt, weil sie immer und immer wieder gespielt wird. Ein Gewöhnungseffekt, der hinnehmend macht. Wenn dazu noch Sicherheitsversprechen kommen, die auf einem Feindbild aufbauen, dann ist der Willkür der Weg geebnet. Die Frage bleibt dabei, ob der Mensch jemals mit Freiheiten umgehen konnte, da dazu eine gewisse Reife erforderlich ist, zumal ein ausgeprägter Gerechtigkeitssinn. Mit anderen Worten: Darf ich meine Sicherheit über das Unglück anderer Stellen? Oder bin ich nicht sogar dazu verpflichtet die gesellschaftliche, als auch individuelle Freiheit bis aufs Letzte zu verteidigen, zu schützen und zu wahren? Eben, weil es auch, aber nicht nur, um den Einzelnen geht. Und ist Sicherheit nicht tatsächlich ein Gespinst? Es kann sie nie tatsächlich derart geben, wie sie heilbringend versprochen und suggeriert wird. Das sollte jedem klar sein, der nur auf sie setzt. Die Sicherheit ist wichtig, aber in einem rechtlichen Rahmen, der die Würde und die Gesetze wahrt, aber letztlich hat sie die Garantielosigkeit gezeigt, indem sie nicht nur heute in rauschender Geschwindigkeit abgebaut, verdreht, verfälscht und missbraucht wird.
Ach, die Sprache! Wie sie zum Diener deklariert wird, wie sie kommandiert wird zu schinden und zu töten, wie der Wurm, der sich selbst auffrisst, sich aushöhlt, seine inneren Organe zum Fraß sich selbst vorwirft. Nur beim Menschen ist das ein anderer Mechanismus, der von außen kommt und nicht genetisch programmiert ist. Unsere Gene sind durch unsere Lebensweise veränderbar, sagt die moderne Forschung, insbesondere die Molukularmedizin. Zumindest ein Teil ist nicht nur programmiert. Wir haben Einfluss durch unsere Ernährung, Bewegung und durch Meditation. Das ist wissenschaftlich belegt. Dadurch können wir auch die Telomere beeinflussen und verlängern, also unsere Lebenszeit und den Tod hinausschieben. Aber all das furchtbare Geschehen auf dieser Erde kann und sollte kein Mensch einfach ausschalten. Wenn das alle tun, dann kann sich auch nichts zum Positiven in jedem Menschen ändern. Dadurch kann sich auch nichts im Außen verbessern. Die wahre Revolution liegt im Menschen selbst: die Einsicht und Änderung zum Besseren. Dort liegt die individuelle Freiheit, die niemand nehmen kann.
Erwarten Sie nicht, dass Freiheit von außen kommt, jemals käme. Sicher, da und dort ist sie ausgeprägter, gestattet sie mehr, als woanders. Aber immer bleibt die äußerliche Freiheit in den Händen der jeweiligen Systeme und von verschiedenen Interessen beeinflusst. Innen kann man all dem trotzen, kann sich Visionen und Wünsche erhalten, kann sich dem Frieden, der Freiheit und Gerechtigkeit zuwenden. Dahin kommt auch keine Technik, denn es sind Vorgänge, die sich zum Glück entziehen. Ach, wir armen Würmer! Glauben immer wir wüssten alles. Glauben ist das eine, Wissen das andere! Zu wissen glauben wir, und wissen beinah nichts, obwohl wir im Verhältnis der Wissenschaftsgeschichte doch allerhand herausgefunden haben und daran glauben. Wir Gläubige. Es gibt keine Ungläubigen, denn alles ist ein Glaube! Wir bleiben im Kosmos nur ein Punkt, der sich verzweifelt ausbreiten will, weil er sich einbildet, ihm gehöre das Leben, ja das Universum. Lachhaft! Wir Winzlinge!
Der Mensch hat ein Mikro-Biom im Darm und auch im Mund. Heute gilt es nicht mehr, alle Bakterien im Mund auszulöschen, weil man sonst auch die guten vernichtet. Wir haben ja auch zwei Immunsysteme. Eines im Kopf und eines im Körper, die durch die Blut-Hirn-Schranke getrennt sind und bei gesunden Menschen nur jene Stoffe durchkommen, die auch ins Hirn bzw. Nervensystem gehören. Aber die heutige Hass-und Angst-Sprache pendelt im Kopf. Die Bilder kleben sich ins Gedächtnis und blättern sich durch den Schlaf. Viele Ängste aus den Schalen, von den Tischen mit den weißen Tischdecken, neben den Häppchen, werden über die Menschen gekippt, als würde Frau Holle ihre Betten schütteln. All das kommt ja im Kopf an. Es verwirrt viele Menschen, verbreitet Sorgen, nimmt Halt und führt dazu, dass woanders ebendieser gesucht wird. Allerdings nicht demokratisch. Ach ja, die arme Demokratie. Sie ist ein Leidensgebilde geblieben. Sie teilt das Schicksal mit einigen Glaubensrichtungen, die zum Morden und zum Bekriegen genutzt wurden und werden. Das kann ja auch nicht wirklich ernst genommen werden, dass man mit Gott in die Kriege zieht. Rein von der Logik her gemeint.
Wussten Sie, dass das Gehirn einer Fliege ähnlich altert, wie das eines Menschen? Das ist einen Denkprozess oder einer Meditation würdig darüber zu sinnen.
Oder einmal darüber nachdenken, dass alle Menschen zu 99 Prozent genetisch gleich sind und nur ein Prozent unsere Individualität ausmacht.
Alle Menschen werden nicht, sondern SIND Brüder und Schwestern!
Lotta Blau/Dez.2024
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