Morgen - Bilder
Am Morgen zogen die Wolken in ungewohnter Schnelligkeit über die Stadt. Sie schienen angeordnet wie ein Regiment. Ganz vorne eine dunkle, größere Wolke, danach folgte ein Wulst einer zusammenhängenden, zusammengebrauten Wolkenfront. Der Kopf spiegelt seine Beschäftigung in die Bilder, die er sieht. Das Herz stürmt dagegen und obwohl waffenlos besitzt es doch die Waffen, die alles entwaffnen können.
Der geschwärzte Himmel schnürt sich Soldatenstiefel an, zieht am Faden der Geschichte das ganze Elend hinter sich her. Zieht vorüber, nur um wiederzukehren. Sich immer wieder neu zu ballen, sich aufzubauschen in seiner Existenz.
Was können die Wolken dafür, was der Himmel, wenn die Augen aus den Höhlen treten, weil eine Front aus ihnen schreit? Weil ihre Sprache mit Stiefeln getreten wird?
Du musst dich ändern brüllen sie. DU...DU...IHR...ALLE...Aber die Brüllenden füllen weiterhin ihre Taschen. Sie schürfen das Licht in ihre Tresore aus unseren Blicken in die Zukunft.Die Köpfe suchen wie berauscht Halt. In zerschlissenen Schuhen, den Köpfen übergezogen, pendeln wir täglich hin und her zwischen gestern, heute und dem bitteren Morgen.
Die Kinder suchen die Sonne. Schuldenberge auf den Schultern.Tragt die Schuld, die man euch in die Seelen spricht, hallt es unter den Länderfahnen. Schuld ist Pflicht! Schuld ist Pflicht! Ohne sie gibt es kein Ja und Amen! Ohne sie wird die Arroganz der Schuldverordneten verarmen! Die Armut gedeiht aus ihren Gewächshäusern, aus den Böden, die an der Last auseinanderbrechen. Und drüber zieht das Wolkenkommando. Senkt die Köpfe! Die Herzen binden sich um die Armut zur Stütze.
Das Gestern hat nicht aufgehört zu weinen. Es gibt kein Heute mehr, weil es von Tränen der Geschichte überschwemmt ist, versunken und aufgefressen. Und das Morgen hat seine Gruft gefunden, in der es seine Welt leben kann, wo sonst kann sich noch ein Traum halten, wenn nicht im Zeitlosen? Dort, wo wir uns selbst immer wieder begegnen können, zwischen Leben und Tod, zwischen Begegnung und Abschied, zwischen Liebe und Trauer um das Verlorene. Dort, wo wir uns entblättern können von all den Buchseiten in uns, auf denen die Suchen stehen, die Wünsche nach Glück und Liebe die sich durchs Blut rollen. Abgeschottet zittern die Worte in den Spinnennetzen zwischen dem Gemäuer. Und was überhaupt hat denn die Liebe für eine Wahl? Wenn nicht in eine Abschottung zu fliehen. Wenn nicht Schutz zu suchen in diesen abgegrenzten Räumen. Nur konserviert, aber lebend und liebend, wie ein Geheimnis.
Beinah hat man sie ja umgebracht. Sie aus dem Zwischen gekratzt, sie wie ein Ausstellungsstück mit einem Schild um den Hals zur Schau als Täter gestellt. Schuld sei sie an allem. Dieses zarte Reh, das von seiner wirklichen Kraft wenig weiß. Immer noch nicht. Also floh sie und liebkost das Morgen in der Gruft. Nur manchmal, da suchen sich die Worte aus ihr. Kauen sich auf imaginäres Papier, wie etwas Verbotenes und Verfolgtes. Hört, die Liebe ist nicht tot! Sie wird es nie sein.
Eines Tages wird sie metaphorisch auferstehen. Morgen, wenn morgen wieder morgen ist.
Bild und Text Lotta Blau/ 06/22