Art und Geschreibsel

von Lotta Blau & Freunden



Drei Tage voller Rosengärten und Dornenherzen

Zum Fenster der U-Bahn schien die Sonne herein. In ihrem Licht fielen Staubpartikel zu Boden, fielen auf Gesichter, auf Haut und Lippen. Ich dachte an dich und ließ dann meine Finger über deine Wangen gleiten. Meine Augen schloss ich. Du, mein großer Trost. Dich zu wissen. Großer Trost, du Tagtraum. Einmal geleuchtet, schon verglühte diese Leichtigkeit. Nach der dritten Station wollte ein Rollstuhlfahrer einsteigen, kam aber nicht dazu, weil die Türen schon wieder schlossen. Aus der umgekippten Flasche auf seinem Sitz lief das Bier auf den Boden. Er war aus seinem Rollstuhl aufgestanden, um ihn in die Bahn zu schieben, denn sonst war er zu langsam. Ein Mann und ich halfen ihm dabei. Die Bahn ruckelte...fast wäre er hingefallen. Ich half ihm sich zu setzen. Danke, meine Liebe!, sagte er. Vielen lieben Dank! Aber er fühlte sich verletzt, fühlte sich ausgeschlossen und fluchte: “Erlöst mich doch endlich! Was für ein beschissenes Leben! Mich kotzt das so an!“ Immer wieder wiederholte er diese Worte, dieses Flehen nach dem Tod.

Sein Gesicht, vom Sonnenlicht betupft, wurde Licht zwischen Schmerz und Tränen. Eine Rose wuchs aus seinem Herzen. Die Blüte wunderschön und duftend, aber der Stil voller Dornen, die ihn immer wieder daran erinnern, was ihn einst gebrochen hatte.

Ich stieg nach ein paar Stationen aus. Ich wollte zum Wasserfall nahe der Universität und von da aus bis nach Himmelgeist zum Rhein. Dort kenne ich einen herrlichen Weg voller Grün und Stille. Vor mir ein Mann ganz in Weiß. Dann bog er ab. Hatte bisschen Ähnlichkeit mit Hundertwasser, dachte ich. Er ging unter eine kleine Brücke. Eine Matratze und eine Tasche und ringsherum blühte der Frühling. Mein Künstlerfreund Armin Guther fiel mir ein, da ich doch mit ihm über Hundertwasser diskutierte. Lang ist es her. Die Skulpturen in seinem Garten. Auf manchen hatte es sich Efeu gemütlich gemacht. Heidelberg und seine Skulptur Muck am Bahnhof. Damals war ich zur Einweihung natürlich auch eingeladen, war aber verhindert. Armin lebt schon lange nicht mehr, aber seine Kunst und sein Muck...die sind lebendig. Nicht nur in mir. Ich weiß nicht, ob es seine Galerie Melnikow noch gibt. Dort las auch schon Günther Grass. Damals, als ich mit Armin dort war, lud mich die Besitzerin zu einem russischen Abend zu Silvester ein. Armin lernte ich einst über die Kunst kennen. Er schätze meine, ich seine. So kam es zum Austausch und irgendwann trafen wir uns. Es wurde eine herzliche Freundschaft daraus für die ich bis heute dankbar bin. So war es auch mit Federchen, also Horst Helfrich. Nur eben über die Schreiberei. Ich weiß gar nicht mehr, wie viele Briefe wir uns hin- und her schrieben...über tausend müssen es wohl sein. Natürlich spielte auch das Telefon in beiden Freundschaften eine Rolle. Ich habe sie alle noch, die Briefe, die Fotos, die Bücher und Kunstkataloge. Traurigerweise starben beide an Krebs.

Gestern, ich ging morgens durch den Hofgarten am Schauspielhaus vorbei, da wachte gerade einer auf einer Bank auf. Das Sonnenlicht wusch ihm die verklebten Augen. Merken wir es? Sehen wir es? Das Licht beleuchtet sie. Ganze Rosengärten wachsen um uns herum. Ganze Dornenherzen unserer Gegenwart.

Heute 21.05.23, herrlicher Morgen, herrlich in der Früh, wenn noch alles Sonntagmorgen in den Betten liegt, im Hofgarten spazieren zu gehen. Vorbei am MALKASTEN, dann wieder am Schauspielhaus vorbei, genieße ich die Ruhe und den Frühling. Krähen haben die Mülleimer ausgeräumt, da geht hinter mir einer, der einen nach dem anderen Mülleimer nach Essen durchsucht. Er greift hinein und wühlt den Abfall um. Was für andere Abfall, kann ihm den Hunger stillen.

Mir scheint, dass die sichtbare Armut auch sichtbar zugenommen hat. Draußen, vor der Tür, malt sie ein Bild des politischen und gesellschaftlichen Rückstands, drinnen, lebt die unsichtbare Armut in vielen Häusern. Die weint leise und versteckt. Noch mit Dach über dem Kopf, aber die Frage, wie lange noch, treibt sich durch ihren Schlaf und die Dornen lassen die Träume wund werden.

Lotta Blau/2023