Die Bank des Abschieds
Dr. Gerhard Schifko in dem Kurzfilm: Gedanken zum Abschied
Früher oder später, da sitzen wir wohl alle allein auf einer Bank oder sitzen am Küchentisch daheim, hören die Uhr ticken und stützen den Kopf in die Hände. Vielleicht auch irgendwo draußen im Wald oder an einem Fluss und halten gedanklich Gespräche mit dem Tod und jenen, deren er sich angenommen hat. Es ist der Verlust und das, was er uns sichtbar macht. Was wir sonst für selbstverständlich annahmen, das entreißt sich zumeist plötzlich unserem Alltag.Verluste sind ehrliche Meister.
Dieser Film ist ein Geschenk, weil er uns ermahnt zu leben und zu lieben. Auch zu verzeihen. Uns und anderen. Er mahnt auch dazu, es auszusprechen. Wie oft wird es nicht gesagt und dann eines Tages ist es zu spät. Es gibt dann nur noch diese Gespräche auf einer Bank, die es uns sagen lassen. Aber wir sollten es dem Leben sagen.
Abschied ist wohl mit das Schmerzhafteste, was der Mensch erleben kann. Aber er kann auch Erlösung sein. Jeden Tag sollten wir uns darüber bewusst sein, dass kein Tag des Lebens eine Selbstverständlichkeit ist. Aber vielleicht ist auch dieser Verdrängungsmechanismus nicht darüber nachzudenken gar nicht so übel. Die einzigen Uhren, die tatsächlich mit und in ihrer Zeit existieren, das sind unsere Zellen mit ihren Zeigern und das ist die Funktionalität der Bausteine des Universums. Den Raum, den uns die Zellen geben, in und mit all ihrer Teilung oder manche in ihrer Beständigkeit, den füllen wir von innen und er füllt sich auch von außen. Das Meiste an Füllmaterial können wir selbst aussuchen, anderes füllt sich in uns aus dem Unterbewusstsein, das unendlich viele visuelle, haptische und olfaktorische Stimulanzien in sich aufnimmt. Und es wird kräftig in uns gerührt und geschüttelt, unsere Synapsen verbinden sich im Schlaf und im Traum anders, schicken uns aus den Datenbahnen, die uns durchströmen, Wege, Offenbarungen oder auch, je nach Erinnerung und Traumphase, Impulse und Wege. Wir bilden in uns unser ganz eigenes Bildnis unserer Persönlichkeit. Wir treffen uns selbst dadurch in uns mit all unserem Wesen. Der Tod ist allgegenwärtig und lebt mit uns, wie ein Vertrauter an unserer Seite. Immer dabei. Doch eigentlich kennen wir ihn nicht, denn was wir kennen, das ist das Sterben. Nein, auch das können wir nicht kennen, sondern erahnen oder vorstellen. Aber die Abschiede von anderen... das können wir erfahren an uns – irgendwann - und an anderen.
Der Tod aber ist und bleibt ein unbekannter Vertrauter. Wir wissen um ihn, wir leben mit ihm und doch bleibt er ein Mysterium. So vertraut und doch fremd. So nah und doch so weit, wie ein Meer, das durch unsere Adern und Vorstellungen strömt. Mal seicht und beinah lieblich, dann wieder stürmisch und wild. Ein anderes Mal bedrohlich nahe vielleicht oder nicht haltbar und fortsetzend, wenn er langsam unser Inneres zum Stillstand bringt. Ähnlich wir von anderen Begebenheiten zu versuchen uns zu erklären, so ist gerade der Tod dem Universum der nächste Freund. Beide sind in ihrer Komplexität und dem, was uns unsichtbar bleibt, und vielleicht gerade darum zugleich Ehrfurcht, Respekt und eine Säule, an der wir uns einen Halt erschaffen haben, bis heute unergründlich. Wenn gleich wir meinen schon viel darüber zu wissen, so wissen wir doch beinah nichts. Und auch vom Gehirn und seiner Funktionalität haben wir bis heute nur einen Bruchteil begriffen. Sie sind Brüder, das All und der Tod, wie das Leben und die Liebe. Der Tod kann und darf auch selbstbestimmt sein und leider umklammert er uns und unsere Existenz auch mit all seinem Missbrauch und Ungerechtigkeiten durch Kriege, Elend und der Benutzung für Profit und Angst. Und alles ist Wort. Es reicht ja ein einziges davon und in jedem Menschen erscheinen sofort seine ganz individuellen Pinselstriche, wie er sich dieses und jenes ausmalt. Und dann Abschied...im Grunde begrüßen und verabschieden wir das ganze Leben. Seien es Wege, seien es andere Menschen, seien es Erfahrungen oder Verfehlungen, seien es Träume oder die ganze lange Palette von Erfahrungen und Emotionen, die uns prägen oder geformt haben. Innen sind wir Sand und Strömung und jeder Atemzug bedeutet Furchen. Und dabei stehen wir wie der Mönch am Meer von Caspar David Friedrich und blicken zum Horizont, der vor uns liegt. So weit und so nah, so allein und einsam, ohne darüber traurig zu sein, berührt es uns zutiefst.
Unsere Gefühlswelt ist weiser, als unsere Logik im Kopf. Die beiden lieben sich und pendeln ständig um die Vorherrschaft hin und her. Die Logik sortiert, klärt und baut Häfen, an denen die Möglichkeiten und rationalen Wege anlegen können. Die Emotionen hingegen sind wie der Mönch am Meer...frei und ungezähmt, grenzenlos, unbestimmt. Und doch sind sie untrennbar. Alles ist in uns verbunden und ist untrennbar mit dem Äußeren. Auf die Waage kommt es an. Ein Wort...klar, wie die Logik oder eine Metapher, die selbst ein Horizont ist und ebenso eingrenzend, als auch unendlich weit sein kann. Auf jeden Fall fordern sie heraus, die Metaphern, sich mit ihnen zu beschäftigen. Man kann in einem Punkt einen Punkt sehen oder aber man kann sich Tiefe und Dimensionen denken, sie spüren, sie bebildern, sie gestatten uns zu erweitern oder sie kann auch eine Flucht ins Unbestimmte ermöglichen. Betrachtet man also einen Punkt und begrenzt sein Denken und Spüren oder erweitert man es ins Gedachte und Unsichtbare hinein. Ist man so mutig? Dennoch: Nicht alles muss und soll ergründet werden. Und so sucht der Mensch ständig nach Antworten. Manche bekommt er, anderes bleibt unbeantwortet. Abschiede fluten uns, spülen Sand und Schlamm durcheinander, die Welt steht dann zunächst still, es gibt dann kein Zeitempfinden, sondern nur Bodenlosigkeit, hilflos oder unbeholfen, versuchend das Unfassbare zu erfassen...erst nach und nach klärt sich der Meeresboden wieder. Die Logik will es verstehen, das Herz will den Schmerz überwinden, aber das Universum verbindet alles miteinander. Und jede Zelle darin, egal welches Lebewesen, hat eine Nabelschnur zum Puls in den kleinsten, bis heute bekannten Atombestandteil, also dem Teilchen. Und dieses Verbundenbleiben ist doch ein Trost. Und es ist ein Trost den Toten zu sagen.
Gerhard Schifko spielt diese Rolle authentisch. Der Film in seiner Gesamtheit könnte nicht tiefer gehen. Es wird alles gesagt. Auch nonverbal und trifft mitten ins Herz, holt die eigene Vergänglichkeit wuchtig zurück. Noch eine Woche...wie würde wohl jeder mit diesem Wissen um den eigenen Tod umgehen? Es könnte auch jede Sekunde geschehen...immer...fortlaufend. Zur Geburt bekamen wir ein Stundenkonto geschenkt, das sich rückwärts abrechnet. Bis zum fremden Vertrauten und dem letzten Atemzug. Und dann...war es still...ein ganzes Gedenken lang. Haben wir gelebt?
Bilder und Text Lotta Blau, 2020
Den Film kann man sich online anschauen.
Lieber Gerhard, ich danke Dir und dem Team für diesen berührenden Film und freue mich, dass wir Dich hier bei uns auf der Seite begrüßen dürfen.