Der Weckerdiktator
Ich drücke morgens halb sechs den Wecker aus, und drehe mich noch einmal um. Du Leugnerin, schreit mir wütend der Wecker zu. Du willst also nicht aufstehen und tust so, als gäbe es mich nicht. Es gibt keine Zeit, denk ich. Lass mich in Ruhe und ziehe mir die Bettdecke über den Kopf. Warte nur, ruft mir der Wecker zu. Nachher musst du sowieso eingestehen, dass ich im Recht bin: Ich bin dein Herrscher. Ohne mich, ohne die eingeteilte und vorgegebene Zeit, bist du nichts. Grauslich, denk ich noch kurz und schlaf dann noch einmal ein. Ich habe ja zwei Weckzeiten eingestellt. Wecker können schließlich nicht sprechen. Sie können aber hervorragend nerven. Ein Weckerdiktator, geht es mir durch den Kopf. Ein Verwalter und Bestimmer meines Lebens. Wohin hat uns der Fortschritt eigentlich gebracht? Als er zum zweiten Mal klingelt bin ich dazu geneigt ihm meine Meinung zu geigen. Setze damit an und ertappe mich dabei mit dem Wecker ein Gespräch anzufangen. So weit ist es also schon. Zum Glück hört mich ja niemand. Ich bezichtige den Wecker ein Diktator zu sein. Der antwortet mit einem Ticken seiner Zeiger. Während ich jetzt leise mit ihm diskutiere und ich ihm vorwerfe er hätte wohl noch nie Adorno gelesen, geschweige denn Einstein, verfliegt die Zeit weiter in ihre Verwaltung der maschinellen Revolution. Die tickende Uhr will aber nicht aufgeben und bleibt beharrlich bei ihrer Zeitpeitsche. Relative Zeit kenne sie nicht, sagt sie. Nur Normen, Rahmen und Gehorsam. Ich klebe der Peitsche einen schwarzen Schnauzer in Gedanken an und schreibe drunter: hassinfektiöser Schnauzer, du Verwalterführer. Jetzt bekommst ja umso mehr politische Unterstützung. Der Mensch als nummerierter, gescannter und verwalteter Datenfaktor dessen Existenz nun immer mehr zum bloßen Objekt einer marktwirtschaftlichen Maschinerie beordert wird. Algorithmenverwaltung, Begutachtung und Selektion.
Alles Gezeter nutzt nichts. Unaufhörlich tickt er weiter, als würde er jeden Moment explodieren. Also, es nützt nichts...aufstehen! Aufstehen, denk ich. Ja,...bilde dir nichts ein, du Lärmtrude! Ich stehe aus Trotz und Widerstand auf und nicht, weil du deine Zeiger vor mir her treibst. Und nein, ich mache weder Radio und schon gar nicht das Fernsehen an.
Erst ein Bein, dann das andere Bein aus dem Bett. Kapriziöse Streckung und Richtung Bad. Weißt du eigentlich, sagt die Zahnbürste zu mir, du könntest mal den Mund aufmachen...
Lotta Blau