Art und Geschreibsel

von Lotta Blau & Freunden

Koko, das Bäumchen und der Wolf

Einst lebte in einem Dorf, das weit entfernt von den Städten lag und tief versunken war in einem Wald, ein Junge den alle nur Koko riefen.

Koko war eher ein stiller und träumender Junge. Es schien immer er lebte nicht in der Wirklichkeit, sondern irgendwo weit weg. Doch diese Eigenschaften ließen ihn vieles erkennen und sehen, was anderen verborgen blieb.

Doch er hatte gelernt all diese Dinge, die er sah, für sich zu behalten, denn im Dorf galt er als Außenseiter. Es tat ihm zwar keiner was, doch er wurde eher gemieden. Einmal versuchte er es...und erzählte von seinen Beobachtungen, die nur er sehen konnte, da lachten ihn alle aus. Seitdem sagte er nichts mehr weiter.

Ihm allerdings machte das nichts aus, denn er liebte es tief, tief in diese für ihn sich offenbarenden Welten zu sehen.

Eines Tages, Koko war gerade auf dem Weg zu seinem Baumhaus, was er sich in vielen Stunden in einer alten Eiche gebastelt hatte, da hörte er seinen Namen rufen:

Koko...Koko

Sehr leise und beinah zärtlich klang das.

Koko...Koko...

Koko schaute sich um...doch er sah niemanden. Und da rief es schon wieder...woher kam das denn bloß?

Koko...Koko... Diesmal klang es langgezogen aber immer noch herzallerliebst.

Da drehte er sich um und versuchte zu finden, woher das Rufen kam und sehr verwundert stellte er fest, dass es vom Boden kam und zwar von einem winzigen kleinem Bäumchen.

Hast du mich gefunden, sagte das Bäumchen...Ach, wie bin ich dankbar, dass du da bist...heb mich auf, Koko...heb mich auf.

Koko nahm das kleine Bäumchen in seine Hand und betrachtete es.

Hallo, du Freund, sagte Koko. Kann ich dir helfen? Woher kanntest du meinen Namen?

Ach Koko...jeder hier kennt dich doch und mir hat es der Wind geflüstert. Er hat mir gesagt, dass du mir helfen kannst. Schau...ich begann einmal weiter hinten unter all den großen Bäumen zu wachsen. Zunächst war auch alles gut, bis...ja bis man die großen mächtigen Bäume alle fällte.

Es war schrecklich...die Bäume sagten sich untereinander Lebewohl und weinten. Ihre Wurzeln hielten sich umarmt bis zum Letzten. Einst pflanzte sie ein damals schon alter Mann. Er hatte überall viele, viele Bäume gepflanzt und war ein Mensch, der einmal selbst Bäume als Rohstoff sah. Und leider nur als geldbringenden Gewinn. Aber eines Tages, begegnete er dem Geist des Waldes und ab da änderte sich alles, denn der Geist konnte sein versteinertes Herz wieder weich werden lassen, indem er ihm erzählte, was er tat und wo es enden würde.

Koko...diese Bäume, von denen ich nun abstamme, das waren seine letzten, die er pflanzte - danach starb er. Alt und einsam, doch glücklich, denn er hatte seine Lebensaufgabe gefunden, die ihn erfüllte...Bäume pflanzen und beobachten, wie sie wuchsen und das Leben zurückkehrte, wo vorher nur noch Ödnis war.

Koko wurde traurig...

Und nun bin ich allein, sagte das kleine Bäumchen...ein Rad einer Maschine, mit der meine Baumfamilie zerhackt wurde, hat mich hierher mitgeschleift. Seitdem lieg ich hier und hab auf dich gewartet. Man sagte mir, immer mal wieder kämst du hierher. Ich kann mir leider nicht allein helfen...Darum bitte ich dich, Koko, hilf mir und nimm mich an einen Ort mit, an dem ich wachsen kann. Lassen wir das gute Herz des alten Menschen weiter gedeihen...mit mir.

Ich bin traurig, kleines Bäumchen, sagte Koko.

Ja, ich auch...sagte das Bäumchen.

Da ging Koko los...genau wusste er nun auch nicht wohin eigentlich? Wo ist es denn noch sicher, für seinen kleinen neuen Freund? Wo ließ der Mensch die Natur noch einfach Natur sein, ohne sie zu Geld zu machen?

So ging er eine ganze Zeit lang, als der Wald aufhörte und sich eine Lichtung auftat. Da... dachte Koko...denn irgendwie schien es, als sei dieser Ort verwunschen. Unendlich friedlich wirkte es hier...als gäbe es nichts davor und nichts dahinter...

So, kleines Bäumchen...hier möcht ich dich pflanzen...in den Frieden hinein, sagte Koko.

Oh...gab das Bäumchen zurück...ja...es fühlt sich gut an. Ich bin zwar hier allein, doch dieser Ort scheint mir wie eine andere Welt und ein Neubeginn von Leben. Sag, Koko, kennst du diesen Ort? Wie heißt er? Ich spüre so viel neue Kraft...

Nein, ich weiß nicht, wo wir sind und wie dieser Ort heißt.

Und nun will ich dich der Erde zurückgeben.

Gerade wollte Koko das Bäumchen absetzen, um seine Wurzeln einzugraben, da knackste es hinter ihm.

Koko erschrak, denn es war überhaupt das erste Geräusch in dieser friedlichen Stille.

Er drehte sich um und es stand ein Wolf vor ihm.

Erschrick dich nicht, kleiner Junge, sagte der Wolf. Ich kam nur, um zu sehen, wer es geschafft hat in unsere Welt zu gelangen...Das kommt nur selten vor, weißt du und das letzte Mal ist schon eine Ewigkeit her.

Wer bist du, sagte Koko?

Ich bin einst auch wie das kleine Bäumchen hierher gelangt. Man hatte mich gejagt...und ich wusste selbst nicht so genau, wie ich dann hier landete. Doch hier bin ich in Sicherheit und lebe in Frieden. So, wie das kleine Bäumchen seine Nächsten verloren hat durch den Menschen, so brachten sie auch an jenem Tag meine Familie um. Und auch...da senkte er seinen Kopf...auch meine Liebste mit unseren gerade geborenen vier Jungen. Die Menschen sind erbarmungslos. Ich konnte mich noch nicht einmal verabschieden, denn mich wollten sie auch töten. An jenem Tag starben viele Tiere...Rehe, Füchse, Wildschweine, Vögel, Hasen...das Blut floss aus ihnen über den Waldboden und färbte alles in Tränen- auf ewig. Denn so ausgelöschte Leben kommen nie wirklich zur Ruhe...sie werden ewig wandern müssen zwischen den Welten, um die zu erreichen, die ihnen das einst angetan haben. Ihre Seelen finden kein Ankommen und keinen ewigen Frieden. Ihr Leid verbreitet sich durch alles, was lebt...wie ein Schall...immer und immer wieder. Es ist nicht alles, wie es scheint...es ist unendlich mehr, Koko.

Also rannte ich so schnell ich konnte und kam hierher. Ich dachte nicht nach, wohin ich eigentlich rannte und sah es auch nicht wirklich...denn ich weinte die ganze Zeit.

Nun, mein Name ist nicht wichtig...ich bin dir nur Freund, Koko...Komm mit...ich zeige dir eine schöne Stelle, an der du das Bäumchen pflanzen kannst...Niemand wird ihm was zu leide tun. Der Wind wird, wenn es soweit ist, den Samen zurück in eure Menschenwelt wehen, um neues Leben bringen...Der Mensch wundert sich ja immer, wie es nur möglich ist, dass selbst nach schlimmsten Verwüstungen neues Leben seinen Weg findet...Das ist die Erklärung...Und doch, in letzter Zeit ist auch das sehr erschöpft und oftmals singt der Wind sein trauriges Lied. Er sieht ja alles...

Da gingen sie zu jener Stelle. Dort pflanzte Koko das Bäumchen und übergab es dem Leben und dieser Welt.

So, mein kleiner Freund...nun wachse und gedeihe und sorge recht bald dafür, dass der Wind deine Kinder zu uns weht. Es ist dringender denn je. Und du lieber Wolf...Freund bist auch du mir und es tut mir sehr leid, was dir geschehen ist. Du bleibst besser hier, denn ich glaube die Menschen werden wohl ewig unverbesserlich. Sie würden dich nur wieder versuchen zu töten. Passt du auf das Bäumchen auf?

Aber natürlich, sagte der Wolf...Wir sind uns doch alle Freund.

Gut, sagte Koko...dann kehre ich nun um. Es wird mein Geheimnis bleiben...diese Welt. Vielleicht finde ich euch einmal wieder, aber den Weg hierher kenne ich ja nicht. Ich weiß nicht einmal, wie ich überhaupt her kam. Mir erging es so, wie einst dir, lieber Freund. Doch ich werde euch nie vergessen.

Wenn es sein soll, werden wir uns wiedersehen, Koko, sagte der Wolf.

Es kommt alles, wie es will. Ich werde dich auch nie vergessen. Du hattest nicht einmal Angst vor mir, sondern bist mir mit Liebe begegnet. Ich werde abends in den Mond hinein mein Lied singen und den Wind bitten, es zu dir zu tragen. Wenn du zu ihm hinaufschaust, dann denk an mich und deinen anderen Freund, den Baum.

Ich schicke dir neues Leben und viel Frieden, Koko...und danke dir, dass du mich gerettet hast, sagte das Bäumchen. Nun bin ich auch nicht mehr allein...ich habe einen neuen Freund.

Dann ging Koko zurück...wie und wohin...er wusste es nicht, doch irgendwann stand er vor seinem Dorf. Da er Einzelgänger und Außenseiter war, war es auch niemanden aufgefallen, dass er weg war.

Wie lange? Koko wusste auch das nicht...wer weiß...wahrscheinlich existierte in dieser Anderswelt kein damals, kein hier oder dort...sondern ein tiefes in sich Ruhen und Annehmen allen Lebens- das war Frieden.

Lotta Blau, 2018

Bild:free