Die verdrehte Welt
Man hat seit ein paar Tagen beschlossen, dass Erwachsene wieder in die Schule gehen müssen. Allerdings sind nun Kinder und Tiere die Lehrer.
Den meisten großen Leuten gefällt das überhaupt nicht, sind sie es doch gewohnt, dass sie den Ton angeben und Kinder auf sie zu hören haben. Von den Tieren ganz zu schweigen, von denen der Mensch bis heute oft nur seinen Nutzen nahm und vergaß, wo die Menschheit denn überhaupt ohne Tiere wäre? Sogar sein Wohlstand wäre nicht der, ohne Tiere...und wie dankt man es den Tieren?
So sollen sie die Kinderwelt wieder verstehen lernen und begreifen, dass weder das Einmaleins noch Fehler oder gar Noten wichtig sind für das weitere Leben, sondern andere Eigenschaften wie Mitgefühl, Liebe und Ehrlichkeit, um nur einige zu nennen.
Die Tiere wollten dem Menschen eine letzte Chance geben, ihnen endlich gleichwertig und mit Respekt sowie Liebe und Mitgefühl zu begegnen.
Da viele Kinder oft morgens noch müde sind und überhaupt nicht einfach lernen können, wurde bestimmt, dass die Schulzeit erst um neun Uhr beginnt.
Durch die Schule wird den Kindern viel ihres Kindseins genommen...Kinder sollten draußen herum tollen, sich schmutzig machen und Fangen spielen und nicht acht Stunden auf einem Stuhl sitzen, den Rücken ramponieren und unnützes Wissen anhäufen.
So kam es, dass die Großen alles über Bord werfen mussten, was sie bisher glaubten, es sei richtig und da sie es einmal in der Schule gelernt hatten, müsse es auch so stimmen.
Bisher war zum Beispiel Eins plus Eins ja Zwei...nun lernten sie, dass das so nicht richtig war, denn als Ergebnis könnte durchaus auch mal eine Drei oder eine Null heraus kommen. Kinder können sehr kreativ sein...aber wer sagt denn, dass eine andere Lösung falsch sei? Wenn es doch in der kindischen Logik und im kindischen Vorstellungen eben so ist...dann ist Zehn mal Zehn eben Fünfhundert.
Wenn aber ein Kind nun dennoch die Logik eines Erwachsenen hat und sie so zählten wie sie es taten, dann war es auch in Ordnung.
Sie lernten auch, dass es egal war, ob man mit Fehlern schrieb oder dass es unwichtig war, ob jemand besser oder nicht so gut ist, in dem, was er schreibt.
Denn wo ein Kind nicht so gut ist, ist es dafür woanders umso besser. So hat alles seinen Sinn und gleicht sich aus.
Sie lernten zu verstehen, dass kein Kind, kein Lebewesen überhaupt dem anderen gleicht - sondern jedes für sich etwas ganz Besonderes und Einmaliges ist und doch die Fähigkeit besitzt, nicht über anderen zu stehen, sondern gemeinsam miteinander zu lieben und in aller Freundschaft umzugehen.
Sie verstanden, dass nicht jedes Kind zum Beispiel gerne rechnet oder sich für Musik interessiert, sondern andere Fähigkeiten und Interessen hat. So begriffen sie, dass dort, wo kein Interesse bestand, dieses nicht einfach angelernt werden kann...und es für Kinder eine Qual ist, etwas verstehen zu müssen, was sie nicht interessiert. Das Gehirn funktioniert nicht auf die Druckknöpfe der Erwachsenen, die Kinder so formen wollen, wie sie es sich denken und wünschen.
Auch begriffen sie, dass das Lernen etwas ganz Wunderbares sein kann und sogar Spaß macht- ja die Kinder ein Leuchten in den Augen bekamen, wenn sie von dem erzählten, was ihnen wichtig war.
Viel Liebe untereinander entstand dadurch – statt Leistung entstanden neue Kreativität in allen Bereichen des Lernens...viel konnte so bewegt werden für ALLE...und Gerechtigkeit und Frieden zogen in die Herzen von Groß und Klein ein.
Das traf auch auf die Tiere zu...leider mussten manche Erwachsene sehr lange darin unterrichten werden, etwas in sich zu fühlen, wenn sie ein Tier streichelten oder einfach mit ihnen sprachen. Zu verstehen, dass der Mensch nicht höher ist, als ein Tier, sondern ebenbürtig, fiel vielen schwer. Auch wenn Tiere nicht die Sprache der Menschen sprechen beziehungsweise ihre Sätze und Zahlen- oder sich an ihre erfundene Zeit halten, heißt es ja nicht, dass sie niedrigere Lebewesen sind. Gar weniger wert oder wie ein Möbelstück behandelt werden können oder gar gequält und gemordet werden dürfen.
Manche wollten einfach nicht von ihren Kriegsgedanken und dem Hass lassen...auch den Tieren gegenüber nicht.
Da setzte man sie in einen Kreis und ließ sie sich untereinander ansehen - so konnten sie sich gegenseitig mit ihrem hasserfüllten Herzen sehen und in die Augen blicken.
Gespiegelt sahen sie sich selbst an. Da brachen manche zusammen und begannen zu weinen...konnten nicht mehr verstehen, warum sie soviel Hass in sich hatten - woher er kam...und fühlten zum ersten Mal seit vielen Jahren wieder ihr weiches, warmes Herz schlagen..Tränenbäche flossen und endlich trauten sie sich andere zu umarmen...Liebe zu fühlen. Verstanden, dass dieser Hass nur ihr Hass zu sich selbst gewesen war, für den sie andere Schuldige brauchten, die Unschuldige waren.
Manche Erwachsene mussten eine sehr lange Zeit alles neu lernen, bis sie verstanden - dass dieses überstülpte erwachsene Denken dem Kind nicht entsprach. Sie mussten sozusagen wieder lernen in die Hocke zu gehen - auf Kindhöhe und nicht von oben herab.
Einige Mütter weigerten sich ihre Kleidung schmutzig zu machen, da die Kinder sie aufforderten mit Matsch zu spielen und eine Burg zu kreieren...widerwillig steckten sie ihre Hände in den Matsch...doch dann...spüren sie..erinnerten sich...begannen zu lachen...Bilder aus ihrer Kindheit kehrten zurück und damit Unbeschwertheit und Freude.
Leider gab es ja auch immer schon auch aus obengenannten Gründen unglückliche und schrecklich leidende Kinder...doch für sie war es nun ein großer Trost, dass es diese ihre wahre Welt nun gab- in der groß wie klein und jung wie alt ein ganz neues Wunder zum Leben brachten...
Denn jeder ist was Besonderes und so wie du bist, bist du richtig...und was du nicht kannst, so ist dies nicht schlimm, denn dadurch bekommen andere die Chance, die genau dies können, zu zeigen, wie schön das sein kann und du zeigst ihnen, was du besser kannst.
Das ist Menschsein und das ist Leben...ohne Neid, Missgunst und Konkurrenzdenken, welches schon Kinderseelen zerstört.
Lotta Blau, 2018
Bild:free